Überlebensstrategien einer Paarbeziehung auf Overlandreisen

Überlebensstrategien einer Paarbeziehung auf Overlandreisen

Überlebensstrategien einer Paarbeziehung auf Overlandreisen
Überlebensstrategien einer Paarbeziehung auf Overlandreisen

Unsere grösste gemeinsame Leidenschaft ist das Reisen. Am liebsten mit dem Rucksack oder unserem Land Cruiser in entlegene Gegenden. Solche Reisen sind für eine Paarbeziehung immer wieder eine harte Belastungsprobe. Die folgenden drei Strategien
erwiesen sich immer wieder als hilfreich auf unseren gemeinsamen Reisen.

Strategie 1: Schadensbericht
Kurz nachdem wir uns 1975 im Studentenheim kennengelernt hatten, gingen wir zusammen auf Reisen und spürten in Griechenland, der Türkei und dem Irak den Spuren des Altertums nach. Als sich nach dem Studium ein Zeitfenster von fünf Monaten öffnete, wollten wir dieses für eine längere Rucksackreise nach Indien, Sri Lanka und Nepal nutzen. Zu Beginn machten wir alles falsch: Wir sparten bei den Unterkünften, tranken eisgekühlte Getränke statt heissen Tee und liessen uns ein paar Mal leichtfertig übers Ohr hauen. So litten wir unter den Bissen von Bettwanzen und Flöhen, hatten Bauchkrämpfe und Durchfall und waren dauernd auf der Hut vor weiteren Betrügereien. Die Reise drohte zu einem Desaster zu werden.

Der Tiefpunkt kam in Varanasi: Sylvia fühlte sich miserabel und bat mich, sie ins Guesthouse zurückzubringen. Ich wollte aber fotografieren und verstand nicht, wo ihr Problem lag. Sie war zu schwach, um meine Fragen zu beantworten und ich verstand nicht, warum sie sich nicht klarer ausdrückte. Wir hatten ein Kommunikationsproblem. Erst als sie sich nicht mehr von der Stelle rührte, realisierte ich die Ernsthaftigkeit der Situation. Da wurde uns beiden klar, dass wir so nicht weiter miteinander reisen können.

«Gerettet hat uns Science-Fiction. In Anlehnung an die Schadensberichte in Star Trek haben wir uns allmorgendlich gegenseitig über unsere Befindlichkeit abgefragt.»

Dennoch setzten wir die Reise fort. Gerettet hat uns Science-Fiction. In Anlehnung an die Schadensberichte in «Star Trek» haben wir damit begonnen, uns auf Reisen allmorgendlich gegenseitig über unsere Befindlichkeit von Kopf bis Fuss abzufragen (medizinisch könnte man es auch einen kurzer Körper- und Psychostatus nennen):

  • Kopf: Hast du Schmerzen? Wie steht es mit der Müdigkeit? Wie hast du letzte Nacht geschlafen?
  • Atemsystem: Hast du Schluckweh, Husten, Schnupfen, Atembeschwerden?
  • Verdauung: Wie steht es mit dem Appetit? Hast du Bauchbeschwerden, Durchfall, Verstopfung, genug getrunken?
  • Gliedmassen: Spürst du den Rücken, die Schultern, die Knie und Füsse? (besonders wichtig beim Trekking)
  • Haut: Hast du Sonnenbrand, Insektenstiche, Wunden?
  • Und zuletzt: Allgemeinzustand und Moral, letzteres wird mit einer Note umschrieben. Weniger als 4 ist Alarmzustand. Dann wäre z.B. ein Ruhetag angesagt.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Nach zwei Wochen Marsch durch die Sümpfe von Westpapua muss man nicht mehr viel fragen.
Der Nutzen des Schadensberichts liegt in der frühzeitigen Erkennung sich anbahnender Probleme. Sind diese kommuniziert, kann der Partner bei der nächsten Rast oder am Abend nachfragen, seine Anteilnahme ist gesichert und Massnahmen werden frühzeitig ergriffen.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.

Ruhetag in Tibet: Sylvia hat erste Symptome der Höhenkrankheit.

Strategie 2: Ritualisierter Tagesrückblick im Recovery Tent
Ermutigt durch die positiven Erlebnisse auf unseren Reisen, öffneten wir uns für Kulturen, die so ganz anders als wir funktionieren. Oft kamen wir jedoch auch an unsere Grenzen, sei es bezüglich extremer Klimaverhältnisse, körperlicher Anstrengung beim Trekking, schlechter Hygiene, uns anfänglich ekelnder Speisen oder für uns unvorstellbare Gesundheitsprobleme der Bevölkerung, ganz abgesehen vom gänzlichen Versagen gewisser Staaten bezüglich Schulung von Kindern oder Bereitstellung der primitivsten Infrastruktur wie Brunnen, brauchbare Stassen oder Versorgung mit Energie. Unser Bestreben war immer, jeden Einzelnen mit Respekt zu begegnen. Aber wie schafft man das, wenn uns Wohlstandsverwöhnten so viel Elend und unlösbare Probleme begegnen? Und wie schaffen wir es, unsere Betroffenheit und Stimmung nicht an ihnen oder am Partner auszulassen? So entwickelten wir mit den Jahren auf unseren Reisen, die uns zunehmend zu entlegenen und nicht immer leicht zugänglichen Kulturen führten, Schritt für Schritt eine weitere Strategie.

«Rückzug ins Recovery Tent: Wir ziehen uns eine halbe Stunde ins Zelt zurück, um etwas Distanz von all den intensiven Eindrücken zu gewinnen.»

Wir lernten durch Beobachtung und Mitmachen: Als wir in Kamtschatka mit drei Russen unterwegs waren und uns die Lebensmittel auszugehen drohten, nahm unser Guide eine Flasche Wodka hervor und jeder musste vor dem Trinken aus dem kleinen Glas einen Trinkspruch zum Besten geben. Meist ging es um die Freundschaft zwischen den Völkern, aber auch um Wünsche bezüglich Gelingens des gemeinsamen Trekkings. Auch später in Sibirien bei den Rentiernomaden war nie einer betrunken, eher liebevoll konzentriert auf die mit dem Gesagten verbundenen Emotionen.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.

Im August im Zelt eingeschneit bei der Umrundung des Amnye Machen in Osttibet.

Ein anderes Ritual brachte uns Frans aus Namibia bei, als wir mit ihm und dem Land Cruiser im Südwesten von Angola unterwegs waren: Sobald wir einen Übernachtungsplatz im Busch gefunden hatten, wurden zuerst die Campingstühle und der Tisch aufgestellt, dann aus der mitgeführten Kühltruhe Gläser mit Cola und Brandy gefüllt und beim Sundowner ein Tagesrückblick ausgetauscht. Erst danach machten wir uns ans Kochen des Abendessens.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.

Warmes Reisbier offeriert vom Dorfchef nach anstrengendem Tag in den burmesischen Naga-Hügeln.

Auf unseren Trekkingreisen in Westpapua, bei den Kogi in Kolumbien oder den Naga in Myanmar verbrachten wir den ganzen Tag eng mit Menschen ganz anderer Kulturen. Dabei lernten wir, wie wichtig es für unsere Psychohygiene ist, uns am Abend vor dem Nachtessen für eine halbe Stunde ins Zelt zurückzuziehen und von all den intensiven Eindrücken etwas Distanz zu gewinnen. Wir nennen dies Rückzug ins Recovery Tent.

Wir wissen mittlerweile, dass wir unter Spannung stehen, sobald wir uns ausserhalb der uns vertrauten Zivilisation aufhalten, das Erlebte uns stärker bewegt, als wir wahrhaben wollen und wir nicht wissen, was uns der nächste Tag bringt. Diese emotionale Spannung kann leicht falsch ausagiert werden. Eine Möglichkeit, sie zu reduzieren, ist der ritualisierte Tagesrückblick – verbunden mit drei Trinksprüchen – im Recovery Tent. Wir ziehen uns also zur Zeit der Happy Hour in unser Zelt oder in unseren Land Cruiser zurück und jeder kriegt abwechslungsweise drei Verschlussdeckel, gefüllt mit vor dem Abflug im Duty Free gekauften Whisky, die jeweils mit einem wertschätzenden Spruch gegenüber Land und Leuten sowie gegenüber dem Partner geleert werden. In islamischen Ländern haben wir gelernt, dass dieses Ritual auch ohne Alkohol wirkt.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.

Happy Hour im von uns Monsterli getauften Land Cruiser.

Strategie 3: Schnitt! Lola renn!
Auch in einer langjährigen Beziehung ist die Kommunikation zwischen den Partnern oft von Missverständnissen geprägt. Dies führt unweigerlich zu gehässigen Reaktionen und Streit. So sehr wir uns immer wieder mehr Gelassenheit wünschen und dauernd daran arbeiten, haben wir uns gelegentlich in einer Negativspirale mit unnötigen Verletzungen verrannt, aus der es fast kein Zurück mehr gab. Auf der Suche nach alternativen Handlungsmöglichkeiten kam uns wieder Star Trek zu Hilfe: In einigen Serien von Deep Space Nine taucht eine alternative Realität auf. Dort existiert ein Paralleluniversum, in dem die Hauptcharaktere teilweise gänzlich ins Gegenteil verkehrte Wesenszüge haben. Das Konzept einer alternativen Welt wird oft in Filmen umgesetzt. Dies geschieht durch die Darstellung alternativer Handlungsstränge («Was wäre, wenn…?»). Ein Beispiel dafür ist der Film «Lola rennt» . Der Film zeigt dreimal dieselbe Zeitspanne von zwanzig Minuten, jedes Mal mit kleinen Detailunterschieden, die die Handlung jeweils zu einem völlig anderen Ausgang führen (Schmetterlingseffekt in der Form einer Zeitschleife).

Fühlt man sich verletzt, spricht man das Zauberwort. Dem anderen wird damit klar, den bisherigen Film hier anzuhalten und einen Moment innezuhalten.

Wir haben daraus auf unserer fast sechs Monate dauernden Reise mit dem Land Cruiser nach Zentralasien folgende Regel für uns entwickelt: Sobald sich einer von uns durch Äusserungen oder Handlungen verletzt fühlt, spricht man das Zauberwort: «Schnitt! Lola renn!» Dem anderen wird damit klar, den «bisherigen Film» hier anzuhalten und einen Moment innezuhalten. So erhalten beide die Gelegenheit, emotional etwas Distanz zu gewinnen und zu reflektieren, was hier schiefgelaufen ist. Erst dann ist es möglich, eine alternative Realität zu kreieren mit einer Wortwahl oder Handlung, die einen weniger verletzenden Effekt hat. Je früher die Intervention erfolgt, desto leichter fällt es dem anderen, darauf einzutreten. Oft führt dies dann sogar zu einem Lachen auf beiden Seiten. Grundsätzlich will ja keiner den anderen verletzen.
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Dem Partner bzw. der Partnerin helfen, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Diese Strategie kommt bei uns v.a. bei Missverständnissen zum Einsatz, die zustande kommen, wenn einer Informationen aus einem Guidebuch, einer Karte oder dem Internet hat und davon ausgeht, der andere sei auf dem gleichen Wissensstand oder es liegen unterschiedliche, nicht ausgesprochene Interessen oder Erwartungen an den Partner vor: Der eine macht einen begeisterten Vorschlag, der beim anderen als ein Befehl zu etwas ankommt, auf das er keine Lust hat, und es dann entsprechend entwertet.

Diese drei Strategien erwiesen sich immer wieder als hilfreich auf unseren gemeinsamen Reisen in den letzten 45 Jahren, die uns zu den interessantesten Völkern der Erde geführt haben. Es lohnt sich immer, um eine Paarbeziehung zu kämpfen.

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Unsere Freunde in Georgien brauchen Unterstützung

Unsere Freunde in Georgien brauchen Unterstützung

Unsere Freunde in Georgien brauchen Unterstützung

Wir – Andrea und Mike – reisen seit 2018 mit unserem Expeditionsmobil um die Welt und haben in Georgien Irina und Frits kennen gelernt, die sich liebevoll um hunderte Hunde kümmern, die ausgesetzt bzw. «entsorgt» wurden.
Wir hatten bis vor kurzem selbst einen Hund und haben auf unseren Reisen auch immer wieder Strassenhunde gefüttert, zum Tierarzt gebracht etc. Darum haben wir Frits und Irina bereits mehrmals finanziell unterstützt, aber da es vor Ort an allem fehlt, brauchen sie auch deine Unterstützung. Bei den Groenevelds wissen wir, dass es eine Herzenssache ist, den Tieren zu helfen und ein neues Zuhause für sie zu finden.

Auf unserer mehrmonatigen Reise durch Georgien haben wir Frits und Irina kennen gelernt und erfahren, wie Hunde gequält, ertränkt, erhängt, erwürgt, lebendig verbrannt, absichtlich mit Autos gehetzt oder zum Vergnügen erschossen werden. Die Einheimischen kaufen sich Hunde, aber sobald das Tier nicht mehr süss ist und ein wenig mehr Aufmerksamkeit und Erziehung braucht, wird es ausgesetzt.

Bei den Groenevelds ist es eine Herzenssache, den Tieren zu helfen und ein neues Zuhause für sie zu finden.

Frits und Irina kümmern sich liebevoll um diese Hunde, füttern und pflegen sie und geben ihnen die nötige medizinische Hilfe. Sobald die Tiere wieder gesund sind, werden sie international vermittelt und Irina und Frits stellen sicher, dass alle Papiere in Ordnung sind für die Vermittlung.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.

Der Camp-Spot am Strand bei Kobuleti, wo auch Frits und Irina ganz in der Nähe standen, bevor sie ihr Stück Land hatten.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.

Unsere Hündin Aimée (rechts) am Spielen mit der zugelaufenen Hündin, die wir über mehrere Tage gefüttert haben und die sogar bei uns in der Box übernachtet hat, als es draussen stürmte.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.

Aimée hat Andrea & Mike während 14 Jahren begleitet, u.a. natürlich auch auf vielen Reisen.

Frits und Irina
Irina und Frits sind Lehrer von TopClassTutors.ORG International und der Albert Einstein International School und haben ihr ganzes Leben lang in der Bildung weltweit gearbeitet.
Ihre Geschichte begann, als sie mit ihrem alten Wohnmobil zu einem Unterrichtsort in Georgien reisten. Damals waren sie mit ihren zehn Hunden mit verschiedenen Behinderungen und Verletzungen unterwegs, die sie aus einem Tierheim in der Ukraine adoptiert hatten. Sie wohnten mit ihren Hunden in der Nähe des Strandes, und es gesellten sich immer mehr Hunde zu ihnen. Als die Leute anfingen, immer mehr Hunde in ihrer Nähe auszusetzen (weil sie dachten, dass sie Hunde lieben), gaben ihnen die Behörden ein Grundstück, das sie vorübergehend nutzen konnten. Hunderte von ausgesetzten Hunden leben auf dem eingezäunten Grundstück und etwa 50 Hunde kommen täglich zum Fressen. Sie kochen nicht nur für die «eigenen» Hunde, sondern füttern auch die Strassenhunde zwischen Kobuleti und Batumi.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Frits und Irina leben mit den Hunden auf dem Grundstück und nutzen eine Wohnung, wo sie die neuen Hunde mit schweren Infektionen und Brüchen behandeln. Um die Kosten zu decken, arbeiten sie – zusätzlich zur aufwändigen Hundebetreuung und -pflege – weiterhin als Lehrer und haben sie 2016 sogar ihr Haus in Amsterdam verkauft. Aber die steigende Anzahl der Hunde sowie die langen Arbeitstage (bis 20 Stunden) nagen nicht nur an ihrem Portemonnaie, sondern auch an ihrer Gesundheit.

Die Leute fingen an, immer mehr Hunde in ihrer Nähe auszusetzen.

Unterstützung dringend benötigt
Da es vor Ort an allem fehlt (fliessend Wasser, Strom, Futter, Hundehütten, medizinische Versorgung etc.), brauchen sie auch deine Unterstützung in Form von…

  • Spenden via gofundme
  • einer Hundeadoption
  • einem Volunteer-Einsatz vor Ort, der sich perfekt eignet für Overlander/Selbstversorger, die Frits und Irina für 2-4 Wochen unterstützen können: Whatsapp +995 593 526 000

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Gemeinsame Abenteuer schweissen zusammen

Gemeinsame Abenteuer schweissen zusammen

Gemeinsame Abenteuer schweissen zusammen
Wir, Sylvia Furrer und Holger Hoffmann, leben in Bern. 1995 gründeten wir «chaostours.ch». Sylvia ist die Geschäftsführerin, Holger der Reiseleiter, und wir sind bisher die einzigen Kunden, aber sehr zufrieden mit der selbstorganisierten Art des Reisens. Das hält uns offen für das Unerwartete.

Sylvia und Holger haben seit 1977 gemeinsam über 100 Länder bereist. Sie lieben das Unerwartete und erleben überraschenden Situationen immer als Bereicherung.

Wir haben auf unseren Reisen gelernt, mit Ungewohntem umzugehen. Meistens können wir überraschenden Situationen Positives abgewinnen und erleben sie als Bereicherung. Einer unserer Grundsätze lautet: wenn Menschen unter schwierigsten Bedingungen überleben können – sei es in extremer Kälte, Hitze, Höhe, Trockenheit oder Feuchtigkeit –, dann können wir das mit ihrer Hilfe ebenfalls, zumindest für eine begrenzte Zeit. Für die Einheimischen sind ihre Lebensumstände kein Abenteuer, sondern Normalität. Nur wir erleben sie als solches, weil sie neu und ungewohnt sind. Je grösser der Unterschied zu unserem Alltag ist, desto mehr fühlen wir uns herausgefordert und desto zufriedener sind wir, wenn wir die für uns ungewohnten Situationen erfolgreich bewältigt haben. Gemeinsam durchstandene „Abenteuer“ – selbst wenn sie noch so klein und banal sind – schweissen zusammen. Reisen ist zu einer zentralen Antriebskraft unserer Ko-Evolution geworden.

Wenn Menschen unter schwierigsten Bedingungen überleben können, dann können wir das ebenfalls – zumindest mit ihrer Hilfe und für eine beschränkte Zeit.

Je länger wir reisen, desto mehr faszinieren uns die traditionellen Kulturen indigener Völker. Wir haben grossen Respekt vor diesen Menschen, die unter härtesten Bedingungen wie der extremen Kälte Sibiriens, der heissen Wüste der Danakil, dem feuchten Dschungel in West-Papua oder dem Hochgebirge im Himalaya leben und ihre Kultur aufrechterhalten. Nomadenvölker sind zu einem wichtigen Schwerpunkt unserer jüngsten Reisen geworden. Wir sind tief beeindruckt davon, wie sie mit den Bedrohungen des Klimawandels und den Herausforderungen der heutigen Zeit umgehen und sich ihnen anpassen.

2012 haben wir begonnen, einige Reiseberichte zu veröffentlichen, um unsere Eindrücke mit anderen Globetrottern zu teilen. Normalerweise ist Sylvia dabei die Autorin und Holger der Fotograf. Die Reise- und Fotoreportagen wurden in zahlreichen Magazinen veröffentlicht und sind auch auf unserer Webseite chaostours.ch abrufbar.

So reisen wir am liebsten

Unterwegs sind wir am liebsten mit Einheimischen, in dem für sie alltäglichen Transportmittel, d.h. zu Fuss, mit dem Rentier- oder Hundeschlitten, mit dem Kamel oder Yak, gemeinsam mit ihrer Herde, auf dem Motorrad oder Buran, im Sammeltaxi oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Ausgerüstet sind wir dabei immer mit Rucksack, Zelt und Schlafsack.

Für die Einheimischen sind ihre Lebensumstände kein Abenteuer, sondern Normalität. Nur wir erleben sie als solches, weil sie neu und ungewohnt sind.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Mit dem Monsterli in Argentinien (2022)
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Zu Gast im Langhaus der Naga in Burma (2018)
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Am Chaumos-Fest der Kalashi in Nord-Pakistan (2018)
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Unterwegs mit den Khanty in Sibirien (2016)
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Bei den Arhuaco und Kogi in der Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien (2014)
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Bei den Nomades Arabes im Tschad (2012)
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Bei den Somba in Togo (2008)
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Auf dem Weg zu den Korowai in Westpapua (2008)
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Shibam im Wadi Hadramaut (1991)
In der letzten Zeit waren wir z.T. auch coronabedingt vermehrt unterwegs mit unserem Monsterli, welches wir uns in Hinblick auf unsere Pensionierung zugelegt hatten. Beim Monsterli handelt es sich um einen Toyota Land Cruiser GRJ 79 mit einer Azalai-Kabine. Für unsere Bedürfnisse können wir uns – abgesehen vom Benzinverbrauch, den unterpowerten Bremsen und dem fehlenden ABS – nichts Besseres vorstellen. Auf sieben Reisen und über 100.000 km hat uns das Monsterli nie im Stich gelassen.

Mit einem 4×4-Fahrzeug kommst du an landschaftlich grossartige Orte und hast die wunderbare Natur meist für dich allein, kommst andererseits nicht im gleichen Masse in Kontakt mit der lokalen Bevölkerung, wie wenn du mit dem Rucksack unterwegs bist (Ausnahmen waren die Begegnungen mit den Bakhtiari im Iran und die Marscharaber im Irak). Da uns diese Begegnungen viel bedeuten, werden wir in Zukunft wieder vermehrt versuchen, in unserem alten Stil zu reisen.

Das darf unterwegs auf keinen Fall fehlen:
Was nie auf unseren Reisen fehlt, sind unsere Fotoausrüstung und ein Notizbuch, sowie Schweizer Taschenmesser und Engadiner Nusstorten als Gastgeschenke, weil sie auf der ganzen Welt und von jeder noch so ursprünglichen Kultur geschätzt werden.

Wohin wir unbedingt noch wollen und warum wir dort noch nicht waren:

  • Nach Afghanistan, weil 1981 auf unserer grossen Indienreise bereits die Russen einmarschiert waren.
  • Auf Zimniks (Ice Roads) von Jakutsk nach Pevek, weil wir bisher noch keinen passenden Partner dafür gefunden haben.
  • Nochmals ins Wadi Hadramaut und Wadi Dawan, weil wir uns im Jemen kriegsbedingt nicht frei bewegen können.
  • Nach Dalol mit ihren Salzkarawanen in der Danakil Depression, weil das Schicksal unsere vier bisherigen Versuche hat scheitern lassen.
  • Reportage über die Indigoproduktion in Guizhou, weil es erst jetzt wieder weit oben auf unserer Wunschliste steht.

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Unterwegs mit den Bachtiaren-Nomaden im Zagros-Gebirge

Unterwegs mit den Bachtiaren-Nomaden im Zagros-Gebirge

Unterwegs mit den Bachtiaren-Nomaden im Zagros-Gebirge
Seit Jahrhunderten ziehen die Bachtiaren-Nomaden jährlich mit ihren Herden über 300 Kilometer durch das schneebedeckte Zagros-Gebirge. Es ist eine der spektakulärsten Formen des Hirtenwesens weltweit. Trotz neuer Strassen hat sich an der Härte ihres täglichen Lebens wenig geändert.
Wir hatten die Gelegenheit, einige Bachtiaren-Familien zu besuchen, mit ihnen durch wunderschöne Täler mit türkisblauen Flüssen zu wandern und bei ihnen in eiskalten Nächten zu übernachten. Wir trafen auf eine herrliche Landschaft und eine überwältigende Gastfreundschaft.

1925 kam der Film «Grass – A Nation’s Battle for Life» in die amerikanischen Kinos. Dieser Stummfilm ist einer der frühesten ethnografischen Dokumentarfilme . Die späteren Macher von «King Kong» schildern darin in dramatischen Schwarz-Weiss-Bildern, wie 50 000 persische Bachtiaren-Nomaden (siehe Box am Ende des Beitrags)mit ihren Herden in tagelangen Märschen über das Zagros-Gebirge ziehen auf der Suche nach Gras und saftigen Weidegründen. Sie überqueren dabei mehrere schroffe Bergketten mit bis zu 3000 Meter hohen Pässen, reissende Flüsse und zuletzt das Massiv des Zard Kuh, mit 4548 Metern der höchste Gipfel des Zagros-Gebirges.

Uns erschüttert die mangelnde Wertschätzung. Die städtischen Iraner nehmen die Nomaden als Menschen wahr, die in einem früheren Stadium der Zivilisation stehen geblieben seien.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Der Blick des Bachtiaren schweift über das fruchtbare Tal, das vom schneebedeckten Zagros-Gebirge begrenzt wird.
All the world’s afoot – on the move to grass!

Seit dem 13. Jahrhundert migrieren die Bachtiaren im April und im Oktober mit ihren Ziegen-, Schaf- oder Rinderherden zwischen den Hochplateauweiden von Chahar Mahaal und der 300 Kilometer entfernten Tiefebene im nordöstlichen Chuzestan. Ihre 15 bis 45 Tage dauernde Migration – auf persisch kuč – gehört zu den spektakulärsten unter den Pastoralisten weltweit. Sie müssen ihre Migration mit äusserster Sorgfalt planen, um die Risiken von überraschendem Schneefall, Überschwemmung von Gebirgsflüssen und mangelnder Beweidung zu minimieren. Dennoch forderte die kuč jedes Mal einen hohen Tribut. Die Nomaden erlitten häufig Unfälle und Viehverluste, wenn sie über schneebedeckte Pfade und durch felsige Schluchten kletterten und die Tiere schwimmend oder auf Flössen aus aufgeblasenen Ziegenhäuten über die während der Schneeschmelze tobende Flüsse übersetzten.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Die Bachtiaren-Nomaden auf ihrer jahreszeitlichen Wanderung, wie sie es schon seit Jahrhunderten tun.
Die beiden Kameramänner Cooper und Schoedsack und die Reisejournalistin Marguerite Harrison waren die ersten Westler, die die Bachtiaren auf ihrer für Mensch und Tier herausfordernden Migration begleiteten. 1976, also gut 50 Jahre später zeigte Anthony Howarth in seinem Dokumentarfilm «People of the Wind» ein praktisch unverändertes Bild der beschwerlichen kuč, nur diesmal mit Ton und in Farbe . Es wird im Film allerdings erwähnt, dass es bereits Strassen gibt, auf denen Familienangehörige und Umzugsgut die neuen Weidegründe erreichen können.

Knapp 100 Jahre später reisen wir ins Zagros-Gebirge und folgen den Spuren der Filmemacher. Wir wollen uns ein Bild machen, wie sich das Nomadenleben der Bachtiaren seit dem ersten Filmportrait verändert hat.

Es ist nicht ganz einfach, die Nomaden in diesem riesigen Gebirge zu lokalisieren. Wir versuchen es zunächst in Chelgerd. Dort sind die Berge immer noch bis tief in die Täler mit Schnee bedeckt. Für die Migration sei es deshalb noch zu früh, teilen uns die Dorfbewohner – sesshafte Bachtiaren – mit. Die Männer – ob jung oder alt – erkennt man sofort an ihrer typischen Kleidung als solche: Pluderhosen, eine schwarze, haubenförmige Filzkappe auf dem Kopf und oft eine Chokha, eine bis an die Knie reichende, offen getragene Kurzärmeljacke, die in einem an Klaviertasten erinnernden Muster gewoben ist. Bei den Frauen ist die Kleidung weniger charakteristisch: Die Mädchen und jungen Frauen sind farbig gekleidet mit langen Röcken und Kopftüchern, die älteren völlig in schwarz.

Typisch gekleidete Bachtiaren-Nomaden.
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Unterwegs im Zagros-Gebirge.
Die Strassen winden sich kurvenreich durch wunderschöne Täler mit türkisblauen Flüssen und über die teilweise immer noch schneebedeckten Pässe des Zagros-Gebirges. Bezüglich Schönheit kann es sich mit den Alpen messen. Unser erstes Ziel ist der Fluss Karun, den die Nomaden mitsamt ihren Tieren auch heute noch auf Flössen aus Ziegenhäuten durchqueren müssen. Es soll ein grossartiges Schauspiel sein, erzählen uns unsere Begleiter.

The mighty river Karun!
Die für den Übergang bevorzugte Stelle befindet sich in der Nähe einer kleinen Siedlung. Unweit vom Ufer hat sich eine Bachtiaren-Familie ein Haus mit einem grossen Innenhof gebaut. Sämtliche täglich anfallenden Arbeiten werden ausgeführt, als ob sie noch mit dem Zelt unterwegs wären. Die Frauen spinnen die Schafwolle mit einer Handspindel und das papierdünne Fladenbrot wird vor dem Haus gebacken. Die Milch der Ziegen und Schafe wird zu Kashk – kleinen Trockenkäsekugeln – verarbeitet und auf einem Holzgestell getrocknet. Sie sind besonders lecker, da sie durch die nahe gelegene Feuerstelle einen dezenten Rauchgeschmack erhalten. Auf meine Frage, welches Holz er verwendet, weist der Gastgeber auf den gegenüberliegenden Hügel. Er ist übersäht mit prächtigen Zagros-Eichen. Sassan zeigt mir eine schmale, längliche Eichel und bestätigt, dass diese essbar sei. Nicht nur die Tiere profitieren von der Frucht, auch die Menschen bereiten aus ihr ein schwarzes Brot zu. Damit ist sie eine Hauptnahrung für die Bevölkerung in diesem Gebiet. Die Bäume liefern nicht nur Holz und Nahrung für Tier und Mensch, sondern auch Schatten zum Nutzen niederer Anpflanzungen und sie speichern auch Wasser und verhindern Bodenerosion und Überschwemmungen. Umso wichtiger erscheinen Information und Schulung der Bevölkerung zum Erhalt und der nachhaltigen Nutzung der Wälder. Im Frühling gab es eine Überschwemmungs-Katastrophe, in der mehrere Menschen den Tod fanden. Als eine wesentliche Ursache dafür sehen Experten den massiven Rückgang des Zagros-Waldes. Er hat aufgrund des Klimawandels, verbunden mit Trockenheit, in den letzten 10 Jahren gegen eine Million Hektaren an Fläche eingebüsst. Mittlerweile ist es gesetzlich verboten, den Wald weiter abzuholzen.

Bei der Produktion des traditionellen Fladenbrotes, Lavash genannt, setzen unsere Gastgeber anstelle des Holzofens bereits auf Gas. Die ihrem Alter entsprechend ganz in schwarz gekleidete Hausherrin sitzt am Boden und bereitet den Teig zu. Aus einer grossen Schüssel formt sie viele kleine Teigklumpen. Mit grosser Eleganz wirft sie diese über einen Holzstab durch die Luft, bis sie hauchdünn sind. Danach werden sie auf eine grosse, bombierte Metallplatte platziert und schwungvoll kurz beidseitig gebacken. Natürlich dürfen wir sofort das noch warme Brot probieren. Wir werden zum Tee eingeladen, nachdem für uns auf dem Holzgestell ein wunderschöner, selbstgeknüpfter Teppich ausgelegt wurde. Es gibt so vieles zu beobachten und zu fragen, dass wir fast den Grund unseres Besuches vergessen. Auf unsere Frage, wann wohl die Überquerung des Flusses durch die Nomaden stattfinden werde, erhalten wir die Antwort: vielleicht in einer Woche, Inshallah. Wegen der starken Niederschläge hat es in den Bergen noch zu viel Schnee und in den Flüssen zu viel Wasser.
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Ein Nomadenzelt, traditionell aus gewebter Wolle gefertigt und durch eine prächtige Eiche vor Wind und Sonne geschützt.
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Wir werden zum Tee eingeladen, den wir zusammen mit den Bachtiaren auf dem Teppich vor dem Zelt geniessen.
Sassan schlägt deshalb vor, den Nomaden entgegenzufahren. Er kennt ihre Migrationsrouten und ist sicher, dass wir auf die Verwandten seiner Frau treffen werden. Unterwegs entdecken wir auf einer Hügelkette Zelte. Mohammad und Sassan gehen auf die Männer zu und erklären ihnen unser Anliegen. Sofort werden wir zum Tee eingeladen, den wir mit ihnen zusammen auf dem vor dem Zelt ausgebreiteten Teppich geniessen. Danach zeigt uns der Chef des Clans einen nahegelegenen Felsabbruch, von dem aus unser Blick über das grüne Tal wandert, das erst in weiter Ferne von Schneebergen begrenzt wird. Überall verstreut grasen Schafe und Ziegen. Sassan hat erfahren, dass seine Verwandten hinter dem nächsten Hügel lagern. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft und machen uns auf den Weg, zuerst steil hinunter, dann wieder steil hinauf und um den Hügel herum. Die Hirtenjungen haben uns entdeckt und kommen scheu auf uns zu und begleiten uns zum Familienzelt. Die Esel und Pferde, die im Schatten der grossen Eichen ruhen, und die atemberaubende Aussicht auf die malerischen, schneebedeckten Gipfel lassen alles sehr idyllisch aussehen. Aber auch hier gab es im Frühling heftige Regenfälle. Opfer gab es zum Glück keine zu beklagen. Allerdings hielten die traditionellen Zelte aus gewobener Wolle nicht dicht und die Strassen wurden verschüttet. Die Regierung hat etwas Hilfe geleistet. Die Zeltplachen sind mittlerweile aus Kunststoff, die dem Wetter besser standhalten. Innen sind die Zelte unverändert nur mit dem Allernötigsten möbliert: einer Feuerstelle, einem abgewetzten Teppich, Kleiderkisten, Decken und Kissen und den elementarsten Küchenutensilien.

Die hochschwangere, aber noch farbig gekleidete Schwiegertochter kocht uns Tee und hilft zwischendurch der gerade von der mehrere Kilometer entfernten Wasserstelle zurückgekehrten 17-Jährigen beim Entladen der beiden Esel. Mittlerweile sind alle Herden von der Weide zurückgekehrt. Die Hirtenhunde tollen ums Zelt und scheuchen dabei die Hühner auf. Die Sonne ist untergegangen und wir schauen uns um nach einer schönen Schlafstelle. Sassan schlägt die in der Nähe der Zelte stehende, riesige Zagros-Eiche vor. Sie ist ein Bilderbuchbaum. Wir werden die Nacht unter ihren Ästen verbringen. Zuvor werden wir von der Mutter noch reich beschenkt mit einem Sack voll Kashk. In den nächsten Wochen werden unsere Zwischenmahlzeiten daraus bestehen.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Jeden Tag verarbeiten die Frauen Ziegen- und Schafsmilch zu Joghurt und Trockenkäse, indem sie die gefüllte Ziegenhaut hin und her schwingen.
Schon vor Sonnenaufgang herrscht emsiger Betrieb im Lager. Die Frauen und Mädchen melken Ziegen und Schafe. Die Milch kochen sie auf offenem Feuer ab schütten sie dann in eine Ziegenhaut, welche an einem dreibeinigen Holzgestell aufgehängt ist. Im Schneidersitz daneben sitzend und über längere Zeit die gefüllte Ziegenhaut hin- und herschwingend, nimmt die Mutter dennoch aufmerksam am Geschehen rund ums Lager teil. Sie erteilt den Jüngeren Befehle und zieht gelegentlich ihr schwarzes Kopftuch zurecht. Sie ist eine Frau mittleren Alters, mit einem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht, das sie älter wirken lässt und das Geschichten erzählen könnte. Sie wirkt zäh, und es ist offensichtlich, dass sie eine sehr starke Frau ist – eine Säule der Familie. Die Bachtiaren-Frauen werden von allen respektiert, aber sie haben den Respekt durch harte Arbeit erlangt. Die harte Arbeit, das Fehlen von Rechten und das Wissen, dass andere iranische Frauen ein leichteres Leben führen, haben viele nomadische Frauen zu Befürworterinnen des Wandels gemacht. Umgekehrt empfinden wir hier bei den Nomaden die Diskrepanz zwischen staatlich-religiösen Vorschriften und tatsächlich gelebtem Leben nicht als so offensichtlich wie in den städtischen Verhältnissen, wo Regelverstösse gegen die von den Mullas erlassenen Vorschriften zum alltäglichen Sport der Iraner gehören. Trotz vieler Entbehrungen geniessen die nomadischen Frauen heute immer noch mehr Freiheiten als die sesshaften.

Dass die Zahl der Nomaden im Iran in den letzten Jahren stabil geblieben ist und dass Präsident Hassan Rohani sie als Vorbild beim Schutz der Umwelt bezeichnet hat, lässt hoffen.

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Nicht alle Familienmitglieder führen ein Nomadenleben. Der Junge fühlte sich stark von dem Motorrad des zu Besuch weilenden Onkels angezogen.
Sehr entspannt geht es am Vormittag im und ums Nomadenzelt zu und her. Einer der alten Männer mit seiner dekorativen schwarz-weissen Klaviertastatur-Weste sitzt gemütlich auf dem Teppich und raucht genüsslich seine handgefertigte, tönerne, etwa 10 Zentimeter lange, vierkantige Pfeife. Männer und Kinder bestaunen das Motorrad, mit welchem ein Onkel der Familie einen Besuch abstattet. Die Nomaden nutzen gerne die neuen Technologien, seien dies Transportmittel oder Mobilephones. Die harte Lebensweise wird dadurch erleichtert und vielleicht gerade deshalb nicht aufgegeben. Was uns immer wieder erschüttert hat, ist die mangelnde Wertschätzung durch die städtischen Iraner. Sie nehmen die Nomaden als Menschen wahr, die in einem früheren Stadium der Zivilisation stehen geblieben seien. Auf unsere Frage, ob Nomaden oder sogenannte zivilisierte Stadtmenschen für die globale Umweltzerstörung mehr verantwortlich zeichnen, ernten wir anfänglich wenig Verständnis. Mohammads Rückmeldungen zum Abschied bestätigen uns aber, dass wir zumindest zum Nachdenken angeregt haben.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Nach einer weiteren erholsamen Nacht, in der uns das Bimmeln der Ziegenglocken in den Träumen begleitet hat, verabschieden wir uns von Sassans Verwandten. Kaum sind wir wieder auf der Hauptverkehrsstrasse angelangt, kommen uns mehrere Viehtransportlaster entgegen, vollbepackt mit blökenden Ziegen. Wer es sich leisten kann, lädt die Tiere und sein Hab und Gut auf einen Laster und bringt so die 300 Kilometer zu den neuen Weidegründen in zwei Tagen hinter sich. Andere mieten sich ein Fahrzeug, um Familie, Zelt und alle anderen Habseligkeiten zu transportieren; die Tiere wandern derweil mit zwei Schäfern über die Berge. Den Übrigen bleibt nach wie vor nichts anderes übrig, als den Weg zweimal im Jahr unter die Füsse zu nehmen. Die Hirten gehen jedoch nicht mehr wie vor 100 Jahren barfuss über die verschneiten Pässe. Die Regierung hat in den letzten Jahren die Migration erleichtert, indem sie Strassen und Brücken baute, die Route verbesserte und unterwegs Futtermittel für die Tiere zur Verfügung stellt. So können die Nomaden über lange Strecken – wie bei uns bei der Alpfahrt – ihre Herden auf geteerten Strassen bewegen. Damit können die schwierigsten Passübergänge vermieden werden und die kuč verliert etwas von der in beiden Filmen nicht übertrieben dargestellten Dramatik.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Heutzutage laden diejenigen, die es sich leisten können, ihre Herden und ihr Hab und Gut auf einen Lastwagen, um die 300 km in zwei Tagen zu bewältigen.
Nach zwei weiteren Passüberquerungen treffen wir zunächst nur vereinzelt, dann immer häufiger auf grosse Schaf- und Ziegenherden, zwischendurch auf einige Esel, bepackt mit Haushaltgerätschaften. Die Frauen und Männer sind zu Fuss unterwegs, um die Herden zusammenzuhalten. Die kleinen Kinder werden von den Frauen auf dem Rücken getragen oder sind seitlich in Säcken an die Esel gepackt und schlafen. Dieselbe Methode wird angewendet, um neugeborene Schäfchen und Zicklein zu transportieren. Wir halten an, und Sassan und Mohammad fragen die Nomaden nach dem Woher und Wohin. Offenbar kennt Sassan eine der Familien und verteilt den grösseren Kindern und den Frauen Orangen und Bonbons als Zwischenstärkung, was mit grossen leuchtenden Augen quittiert wird. Die Nomaden werden noch bis Sonnenuntergang weitermarschieren und in der Nähe des Baches übernachten. Am nächsten Morgen soll es dann, weg von der Strasse, bergauf über den nächsten Pass gehen.

For days they journey over rugged hills, camping in the valleys – until one morning before them roars a deep and treacherous torrent.

Die Bachtiaren schliessen sich nicht mehr wie früher zu Gruppen bis zu 50 000 Personen zusammen. Es sind heute kleinere Verbünde von 2 bis 20 Familien, die sich gemeinsam auf den Weg machen. Die Migrationsrouten haben sich dagegen – abgesehen von den neuen Strassen – wenig verändert, da es im Zagros-Gebirge nur fünf oder höchstens sieben Passrouten gibt. Dies führt dazu, dass die Übernachtungsplätze aufgrund langjähriger Überlieferungen ebenfalls fast immer die gleichen geblieben sind.

Kleine Kinder werden entweder von den Frauen auf dem Rücken getragen oder in Taschen zu beiden Seiten eines Esels gepackt.
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Für die zwei- bis dreiwöchige Wanderung werden alle Haushaltsgeräte auf Esel gepackt.
Wir begleiten zwei Familien durch eine immer enger werdende Schlucht, in die bereits kein Sonnenstrahl mehr fällt. Als wir uns für diesen Tag von ihnen verabschieden wollen, um für uns ein geeignetes Nachtlager zu finden, bitten sie uns zu unserer Überraschung, die Nacht gemeinsam mit ihnen an ihrem Lagerplatz zu verbringen. Für uns natürlich eine willkommene Gelegenheit, ihrem Leben noch näher zu kommen. Die Begründung für ihren Wunsch hingegen irritiert uns: Sie fühlen sich in unserer Nähe sicherer, denn es komme oft vor, dass ihnen nachts Tiere gestohlen werden, vor allem, wenn sie in der Nähe der Strasse übernachten.
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Am Lagerplatz angekommen, werden als erstes die Lasttiere abgeladen. Bevor jedoch ans Kochen zu denken ist, müssen die kleinen Tiere eingefangen und in einen kleinen, an der Lagerstelle schon vorhandenen Stall aus Steinen gesperrt werden. Gerne helfe ich mit, den Tieren nachzurennen, sie an einem Bein zu packen und in Sicherheit zu bringen. Danach werden die Ziegen gemolken, auch die Männer helfen dabei. Zu essen gibt es Kalejoush, bestehend aus in Wasser aufgeweichten Kaskhkugeln vermischt mit Butter, getrockneten Zwiebeln und anderen Gewürzen, dazu Fladenbrot. Sassan und Mohammad übernehmen die Wache bis um zwei Uhr morgens. Das Thermometer fällt knapp unter den Gefrierpunkt. Dennoch sind die Nomaden nur mit Decken und die Männer mit ihrem traditionellen Filz-Cape geschützt. Es lohnt sich nicht, für eine Nacht die Zelte aufzustellen. Die Kinder schmiegen sich eng an die Mütter und ihre Geschwister. Das Feuer ist bald erloschen. Dafür scheint der Mond in der sternenklaren Nacht auf das Lager. Nur ein paar Glocken der Ziegen und das rauschende Wasser des Baches sind zu hören, ansonsten bleibt alles ruhig.
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Trotz Temperaturen unter dem Gefrierpunkt bleibt die ganze Familie über Nacht nur durch ihre Decken geschützt.
Lange bevor die ersten Sonnenstrahlen in die Schlucht fallen, kommt Bewegung ins Lager. Zum Frühstück gibt es Kashk mit Joghurt und heissen Tee. Mit wenigen gut eingeübten Handgriffen werden die Lasttiere wieder bepackt, wobei die Nomaden auch ihre Füsse und Beine für das Festzurren zu Hilfe nehmen. Alles muss mitgenommen werden: Teppiche, Decken, Kleider, Schuhe, Kochgeschirr und Nahrungsmittel. Während die Männer das Lager frühzeitig mit langsameren Schafen verlassen, bleiben die Frauen zurück, um das Lager aufzuräumen, und machen sich dann mit den Eseln und etwas schnelleren Ziegen auf den Weg zu einem vereinbarten Ort, an dem die Familie wieder zusammenkommt.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Die Bachtiaren ziehen mit ihrer Herde in die Berge, fotografiert im frühen Morgenlicht.
Die ersten Sonnenstrahlen erreichen den gegenüberliegenden Bergkamm und tauchen die Bäume und Rückenhaare der Tiere in glänzendes Licht. Die Herde zieht weiter, zuerst entlang eines Bachs, in dem die Sonne glitzert und danach geht es steil hoch, schroffen rötlichen Felsen entlang. Wir stehen noch lange unten und schauen der Staubwolke nach.

Da Sassan den Weg der Nomadenfamilie kennt, schlägt er vor, dass wir ihnen auf der anderen Seite des Passes entgegenfahren. Dies bedeutet, um den Berg herumzufahren und auf ihre Ankunft zu warten. Wir nehmen uns noch etwas Zeit fürs Abbrechen unseres Lagers. Als wir oben ankommen, ist weit und breit nichts zu sehen. Wir laufen ihnen entgegen, treffen aber nur auf eine andere Familie. Wir haben das Tempo unserer Familie völlig unterschätzt. Sie sind schon längst an dieser Stelle vorbeigezogen. Ihrem weiteren Weg können wir leider nicht mehr folgen, denn es sind Pfade, die nur die Nomaden erkennen können …

… on the way where there is no way. Folge Sylvia und Holger auf www.chaostours.ch

Bachtiaren
Der Name lässt sich am besten mit «Glücksbringer» übersetzen. Der rund 600 000-köpfige Stamm der Bachtiaren lebt im südwestlichen Iran auf einer Fläche von ca. 75 000 km² im zentralen Zagros-Gebirge, einer Bergkette, die sich über rund 1500 Kilometer von der irakischen Grenze bis zur Strasse von Hormuz zieht und so hoch wie die Alpen und so breit wie die Schweiz ist. Obwohl nur etwa ein Drittel von ihnen Nomaden sind, verkörpert das Nomadentum die kulturellen Ideale der Bachtiaren. Gleichzeitig zeigen die Bachtiaren beispielhaft, wie sesshafte und nomadische Bevölkerungsteile in symbiotischer Weise wirtschaftlich, sozial und politisch miteinander verflochten sind, obwohl die Sesshaften eher dazu tendieren, sich in die iranische Kultur zu assimilieren.

Die Bachtiaren sprechen einen persischen Dialekt namens Lori und sind schiitische Muslime. Zu den Zeiten der Schahs bildete der Stamm eine Konföderation mit vom Schah ernannten Khans. Reza Schah, der den Iran in den 1930er-Jahren um jeden Preis modernisieren wollte, entmachtete jedoch diese, liess einige von ihnen hinrichten und zwang die Bachtiaren, sesshaft zu werden.

Die tief verwurzelten Traditionen und das Patriarchat haben den Wandel lange von den Bachtiaren ferngehalten. In den ersten Jahren der Islamischen Republik scheinen sich ihre Lebensbedingungen jedoch stärker verändert zu haben als im halben Jahrhundert des Pahlavi-Regimes. Die jahrzehntelangen Bestrebungen der Regierung, sie sesshaft zu machen, ein mittlerweile gut ausgebautes Strassennetz, die bessere Schulbildung, sowie bessere Kommunikationsmöglichkeiten durch Mobilephones und Internet haben zu diesem Wandel beigetragen. Der Fortschritt hat auch Zäune und Staudämme gebracht, die ihre alten Migrationsrouten blockieren. Die Zukunft wird zeigen, welchen Stellenwert die Islamische Republik und die iranische Gesellschaft den Nomaden mit ihrer Jahrhunderte alten, die Natur schonenden Kultur einräumen wird. Dass die Zahl der Nomaden im Iran in den letzten Jahren stabil geblieben ist und dass Präsident Hassan Rohani sie als Vorbild beim Schutz der Umwelt bezeichnet hat, lässt hoffen.