Wie man sich den ultimativen Werkzeugsatz zusammenstellt

Wie man sich den ultimativen Werkzeugsatz zusammenstellt

Wie man sich den ultimativen Werkzeugsatz zusammenstellt

 

Es ist immer eine Gratwanderung; einerseits möchte man auf seiner Tour immer das richtige Werkzeug dabeihaben, andererseits nicht zu viel oder überflüssiges Gewicht mitschleppen. Der erfahrene Overlander Jake Quiñones gibt Tipps, wie man sein Tool-Kit am besten zusammenstellt.

Jake Quiñones. Quelle: newmexicoblackrange.com

Das Feld-Toolkit enthält Werkzeuge, die dauerhaft mitgeführt werden – für den Fall einer Reparatur am Strassenrand, in abgeschiedenen Regionen und für sonstige Arbeiten am Fahrzeug. Benutze es auch, wenn du zuhause am Fahrzeug schraubst, damit du siehst, ob etwas fehlt. Es ist besser vor der Abfahrt zu erkennen, dass ein wichtiges Teil fehlt, als mitten in der Wildnis vergeblich danach zu suchen. Bewahrst du hochwertige Schlüssel und Rätschen in der Garage auf und minderwertige im Auto, dann tausche die Rollen: Das letzte, was du gebrauchen kannst, ist ein Werkzeug, das im Notfall versagt.

Werkzeug-Check vor der Reise

Nimm dir Zeit, sämtliche Schrauben, Muttern und sonstigen Befestigungen an deinem Fahrzeug (innen und aussen) zu finden oder zu ertasten und vergewissere dich, dass du für alles die passenden Werkzeuge hast: Schlüssel, Nüsse, Rätschen usw. – alle möglichen Kombinationen zuzuordnen ist jede Menge Arbeit, die richtige Aufgabe für einen ruhigen Sonntagnachmittag. Du wirst feststellen, dass du dein Toolkit um einiges ergänzen musst – insbesondere grosse Stecknüsse und Schlüssel. Hast du eine 22 mm-Nuss für eine bestimmte Mutter, dann brauchst du einen gleich grossen Schlüssel oder eine weitere Nuss (samt Rätsche) für den Bolzen. Ein Engländer sollte ausschliesslich als Notlösung dienen, da er sich unter Last öffnen und den Sechskant beschädigen kann.  

Safety First bei der Arbeit mit Werkzeug

Setze bei Arbeiten unter dem Fahrzeug grundsätzlich eine Schutzbrille auf, um deine Augen vor herabfallendem Schmutz zu schützen. Sei achtsam, wenn du mit Werkzeugen in der Nähe deines Gesichts oder unter schwierigen (aber notwendigen) Hand-/Arm-Bewegungen arbeitest; mit einem Werkzeug bei einer Kraftanstrengung abzurutschen, kann böse Folgen haben. Überlege die Arbeitsreihenfolge im Vorfeld und lege die passenden Werkzeuge bereit, auch wenn es etwas länger dauert, die 100er Verlängerung samt Gelenk aus der Tasche zu kramen. Und überprüfe die abgeschlossene Arbeit sicherheitshalber nochmals.

Drehmomentschlüssel

Quelle: upload.wikimedia.org

Die Anprobe ist auch die beste Gelegenheit zu prüfen, ob alles fest und mit dem richtigen Drehmoment angezogen ist. Ein mechanischer Drehmomentschlüssel ist ausreichend; elektronische sind für die meisten Hobbyschrauber die Investition nicht wert. Eine unzureichend angezogene Schraube erlaubt zu viel Spiel zwischen den Bauteilen und beschleunigt den Verschleiss – oder gar eine offene Verbindung. Anderseits lassen zu fest angezogene Verbindungen kein Spiel zu, was im Falle von Buchsen, Lenk- oder Fahrwerksteilen zu schlechten Fahreigenschaften führen kann. Auch abgerissene Köpfe, beschädigte Gewinde und sonstige Einschränkungen der Bauteile können die Folge sein. Sind die Anzugswerte nicht in der Bedienungsanleitung vermerkt, drucke sie dir aus und fange an, sie zu überprüfen. Danach ziehe mit einem Lackstift einen Strich über Schraube/Mutter und Kontaktfläche, damit du sofort siehst, wenn sich eine Befestigung gelockert hat. Das Drehmoment von Lenk- und Fahrwerksverbindungen sollte alle paar tausend Offroad-Kilometer überprüft werden, da sich Schrauben durch Vibrationen lockern können. Mangelt es an Platz, kannst du auf das Mitführen eines Drehmomentschlüssels verzichten – unterwegs ist es besser, eine Verbindung zu fest anzuziehen; kontrollieren kannst du zu Hause.

Das wesentliche Werkzeug für die Reise

Dein Fahrzeug zu überladen führt zu vorzeitigem Verschleiss und beeinträchtigt die Fahrleistung. Nur weil du Platz für 100 Kilo Werkzeuge hast, ist das kein Grund, sie mitzuführen. Bist du von der Vollständigkeit deiner Werkzeuge überzeugt, dann ist es an der Zeit, sie auf das Wesentliche zu reduzieren. Kommt dir ein Tool überflüssig vor, wäge die Vor- und Nachteile ab.

Selten benutzte oder unpassende Werkzeuge gehören in die heimische Werkbank. Während du dein Werkzeug in den Wochen vor der Abfahrt prüfst und abwägst, entscheide: Werkstatt oder Feldausrüstung? Eigentlich solltest du dir diese Frage bei allem stellen: Kleidung, Küche, Elektronik, Bergungsmaterial usw. Für die wichtigsten Gegenstände benötigst du auch ein Backup. Zum Beispiel sollten deine normalen Wasservorräte durch ein Filtersystem und Tanks ergänzt werden. Weniger genutzte Ausrüstung sollte vielseitig sein: Kann der Hi-Lift-Handle zum Beispiel auch als Brecheisen verwendet werden?

Ist die Feldausrüstung optimal zusammengestellt, verstaue sie so, dass sie so wenig Platz wie möglich einnimmt. Stoff- und Rolltaschen halten alles geräuscharm zusammen – persönlich bevorzuge ich eine robuste Tasche aus gewachstem Segeltuch.

Fahrzeuge – alt und neu, serienmässig oder umgebaut – haben eines gemein: Sie sind alle reparaturanfällig. Und die Zeit, die du im Vorfeld in deine Feldausrüstung investierst, wird dir helfen, Schäden weit weg von zu Hause auf einem Minimum halten.

TIPP

Ziehe mit einem Lackstift einen Strich über Schraube/Mutter und Kontaktfläche, damit du schnell kontrollieren kannst, ob eine Befestigung sich gelockert hat.

Westwärts mit der Nacht: Mein Leben als Fliegerin in Afrika

Westwärts mit der Nacht: Mein Leben als Fliegerin in Afrika

Westwärts mit der Nacht: Mein Leben als Fliegerin in Afrika

 

Weibliche Abenteurer sind rar in der Geschichte. Zu erklären warum, würde jetzt zu weit führen. Was ich sagen kann, ist, dass Beryl Markham ein aussergewöhnliches Beispiel dafür war, dass man nicht nur geografische Barrieren, sondern auch soziale und kulturelle Normen überwinden kann – wofür sie teuer bezahlt hat.

Doch nicht eine Sekunde bemitleidet sie sich in dieser Autobiographie; witzig, offen und eloquent schreibt sie über ihr Leben als Kind in Kenia Anfang des 20. Jahrhunderts. Während ihr britischer Vater eine Farm aufbaute, spielte, erkundete und jagte Beryl zusammen mit den Nandi-Kindern und entwickelte eine tiefe Verbindung zu den Einheimischen, die den meisten ihrer Landsleute damals fehlte. Als Erwachsene wurde Beryl Kenias (und wahrscheinlich Afrikas) erste weibliche Rennpferd-Trainerin. Später widmete sich Beryl einem neuen und gefährlicheren Beruf: der Luftfahrt – sie flog Post und Passagiere über die von Wildtieren durchzogenen Savannen Afrikas. 1936 war sie die erste Person, die allein über den Atlantik von Ost nach West flog – eine Leistung, die mit einer Bruchlandung in Nova Scotia endete.

So manche Autobiographie droht, den Leser mit Selbstbeweihräucherung zu ersticken; nicht so Beryl. Stattdessen strahlt Westwärts mit der Nacht vor Leidenschaft. Dies ist die brillante Geschichte einer Frau, die hundert Jahre vor ihrer Zeit geboren wurde, die Momentaufnahme einer Zeit, die längst vergangen ist – teils zum Guten, teils zum Schlechten.

Westwärts mit der Nacht: Mein Leben als Fliegerin in Afrika von Beryl Markham | [Org.Titel West with the Night], besprochen von Åsa Björklund, ISBN 978-3492232920

Quelle Bild: booklooker.de

Overland Travel Essentials: West Africa

Overland Travel Essentials: West Africa

Overland Travel Essentials: West Africa

 

Fahr nicht nach Afrika. Allein die schiere Menge an Horrorgeschichten, mit denen wir in den 80er und 90er Jahren in Filmen und anderen Medien überschwemmt wurden, sollte dich zu Hause halten und mit Wehmut von Heldentaten auf dem Kontinent träumen lassen. Und auf keinen Fall solltest du Dan Grecs zwanglosen Bericht über seine Westafrika-Reise lesen. Er könnte deine Meinung mit praktischen Ratschlägen ändern, wie unglaublich plausibel das Reisen in der Region wirklich ist.

Seit fast einem Jahrhundert ist Afrika auf Mythos, Legende und Effekthascherei reduziert, wie bei internationalen Abenteuern nur allzu häufig der Fall. In Overland Travel Essentials: West Africa adressiert Dan diese falschen Vorstellungen wie bei einem Lagerfeuergespräch, identifiziert die häufigsten Ängste und spricht sie an. Er beugt unseren “Aber was ist mit…”-Argumenten mit fundierten Empfehlungen über Fahrzeug, Gesundheit, Logistik und Sicherheit vor. Braucht man einen 6×6-Monstertruck, um die unwegsamen, apokalyptischen Strassen zu überleben? Nein. Werden wir uns in einer Drittland-Gefängniszelle um Essensreste raufen, nachdem das Militär unser Titan-Kochgeschirr gestohlen hat? Nein. Nützt uns eine Gummischlange auf dem Armaturenbrett unseres Buschtaxis? Ja.

Dans Buch ist ein übersichtliches Handbuch, das zutreffende, aktualisierte Informationen liefert und dem Leser die Realität vor Augen führt. Wenn die Angst vor Gefahr oder Undurchführbarkeit dich davon abgehalten hat, die Westafrika-Route zu befahren, gib diesem Buch die Chance, deine Meinung zu ändern.

Overland Travel Essentials: West Africa von Dan Grec, besprochen von Stephen Peters, eBook

Land of the Dawn-lit Mountains

Land of the Dawn-lit Mountains

Land of the Dawn-lit Mountains

 

In ihrem neuesten Buch führt uns Antonia Bolingbroke-Kent in eine weitere abgelegene Ecke der Welt, komplett mit mysteriösen Schamanen, mörderischen Busfahrern, einem hochgelegenen tibetischen Shangri-La und Teegärten. Arunachal Pradesh ist die östlichste Provinz Indiens, wo die grossen zeitlosen Zivilisationen Südostasiens seit jeher aufeinandertreffen. In jüngerer Zeit war die Provinz stark dem umstrittenen britischen Kolonialismus unterworfen. Hinzu kommen unzählige indigene Kulturen und fast jedes Ökosystem unseres Planeten – Arunachal Pradesh bietet sämtliche Zutaten, um die besten Reiseschriftsteller zu inspirieren.

Während Antonia auf ihrer 150ccm Hero Impulse abwechselnd über vereiste Bergpässe und durch schlangenverseuchte Dschungel und pulsierende indische Städte navigiert, erzählt sie von ihren Abenteuern und den unglaublichen Menschen, die sie auf ihrem Weg trifft, mit dem Sinn für Witz und Humor, mit dem anscheinend nur britische Autoren ausgestattet sind. Sie berichtet von ihrer facettenreichen Reise, oft gefährlich, gelegentlich am Wahnsinn grenzend, immer fesselnd. Geschickt flechtet sie interessante Side Stories, kuriose Fakten und die reiche Historie der Orte ein, in die sie uns führt. Von der britischen Kolonialzeit bis zu den Fussmärschen durch Dschungel und über hohe Pässe im Zweiten Weltkrieg hat sie ihr Thema gut recherchiert. Dieses wunderschön verfasste Carnet de Voyage wird nicht enttäuschen.

Land of the Dawn-lit Mountains von Antonia Bolingbroke-Kent, besprochen von Cyril Mischler, ISBN 978-1471156564

I CAN, I WILL. WOMEN OVERLANDING THE WORLD

I CAN, I WILL. WOMEN OVERLANDING THE WORLD

I CAN, I WILL. WOMEN OVERLANDING THE WORLD

 

Sunny Eaton und Karin Balsley liessen erfolgreiche Karrieren und ein angenehmes Leben hinter sich, um gemeinsam die Welt zu erkunden. Beider Wunsch zu reisen entfachte sich in tiefgründigen Gesprächen wie: “Wenn wir noch sechs Monate zu leben hätten, wie sollten wir diese Zeit verbringen?” Was wollten sie als Einzelperson und als Paar erleben und erreichen?

Das Ergebnis war eine Overland-Reise, angefangen beim Kauf eines Serie 80 Land Cruisers und dem Plan, nach Ushuaia zu fahren. In Zentralamerika trafen sie auf andere weibliche Reisende, ein Netz, das sich auch auf die sozialen Medien erstreckte. Hier entdeckten sie erstaunliche Geschichten – und die Idee eines Buches war geboren.

In den letzten zwei Jahren haben Sunny und Karin jene Globetrotter interviewt und aufgezeichnet, die mit 4×4, Motorrad, Van und Fahrrad um die Welt reisen. Der Band ist ein Wunder an Inspiration und Kraft und zeigt Entdecker, die das Leben unterwegs gelebt und ihre Geschichten erzählt haben. Die Autorinnen gehen sehr detailliert auf die Lektionen und Erfahrungen ein, die jeden dieser Ausnahmereisenden motivieren. Die Bilder und das Layout sind atemberaubend und erweisen diesen Vagabunden alle Ehre. Perfekt gebunden und in Farbe ist dieses Buch genau das, was Overlanding bedeutet: Abenteuer.

I Can, I Will. Women Overlanding the World von Sunny Eaton, Laurie Holloway und Karin Balsley, besprochen von Scott Brady, ISBN 978-1732394100

„Eine Büroklammer in Alaska“: Wie ich meinen Schreibtisch gegen die Wildnis eintauschte

„Eine Büroklammer in Alaska“: Wie ich meinen Schreibtisch gegen die Wildnis eintauschte

„Eine Büroklammer in Alaska“: Wie ich meinen Schreibtisch gegen die Wildnis eintauschte

 

“Wenn die Wirklichkeit einen Traum zerstören kann, warum sollte dann nicht auch ein Traum die Wirklichkeit zerstören? (George Moore)”, so beginnt das erste Kapitel der Erzählung „Eine Büroklammer in Alaska“ von Guy Grieve.

Nach einem beruflichen Fehlschlag ist der Büroangestellte und Familienvater Guy auf der Suche nach sich selbst. Es reift in ihm der Plan, einen Winter in Alaska in einer Hütte zu verbringen. Kurzerhand tauscht er seinen Schreibtisch gegen die Wildnis. Diese herzergreifende wahre Erzählung lässt den Leser teilhaben an der rauen Natur Alaskas am Yukon River und den Menschen, deren Freundschaft er sich erarbeiten muss. Man bekommt einen Einblick, was es heisst, sich selbst in der Einöde tagtäglich versorgen zu müssen, aber auch tausende Kilometer von seiner Familie getrennt zu sein. Trotzdem findet man sich vielleicht auch ein wenig selbst in der Erzählung wieder, weil man auch bisweilen aus dem normalen Alltag ausbrechen wollte.

Die zahlreichen Bilder, Illustrationen, Tagebuchzitate und Erläuterungen unterstützen diese kurzweilige Geschichte vom Jagen, Eisfischen, dem Kampf gegen Bären und Wölfe sowie der Einsamkeit in der schönen und gleichzeitig gefährlichen Natur Alaskas.

„Eine Büroklammer in Alaska“: Wie ich meinen Schreibtisch gegen die Wildnis eintauschte von Guy Grieve, besprochen von Stefan Knopp, ISBN 978-3958980112

„Am Ende der Strasse: Die Geschichte einer unglaublichen Reise“

„Am Ende der Strasse: Die Geschichte einer unglaublichen Reise“

„Am Ende der Strasse: Die Geschichte einer unglaublichen Reise“

 

Während Dylan in Sri Lanka in Armut aufwächst, träumt er von Abenteuern und sehnt sich danach, die Welt mit eigenen Augen zu sehen. Allen Widrigkeiten zum Trotz beginnt er viele Jahre später damit, seine Träume zu verwirklichen.

Er reist mit seinem geliebten Motorrad namens Bruce auf über zweihunderttausend Kilometern durch fünf Kontinente. Auf dem Weg von Alaska nach Argentinien enden in Panama, am Darien Gap, plötzlich alle Strassen. Aber nicht für Dylan. Am Ende der Strasse beginnt für ihn das grösste Abenteuer seines Lebens: Dylan baut ein vom Motorrad angetriebenes Floss und fährt damit sechs Wochen lang über den Pazifik nach Kolumbien. Und wie zu erwarten, geht natürlich nicht alles glatt. Aber zum Glück gibt es ja Delfine…

Dylan erzählt alles andere als eine klassische Motorradreise-Story. Er erzählt seine Lebensgeschichte, erzählt davon wie die Reise ihn verändert hat. Wie das Materielle für ihn an Wert verlor und es ihm heute viel wichtiger ist, Erlebnisse anstatt Dinge zu sammeln. Bei seinen Lesungen bringt er authentisch und mit viel Charme das Publikum zum Staunen, Lachen und Weinen. Wenn Dylans Augen funkeln, springt seine wahre Freude am Abenteuer über.

„Am Ende der Strasse: Die Geschichte einer unglaublichen Reise“ von Dylan Wickrama und Martina Zürcher, besprochen von Elisabeth Brailey, ISBN 978-3952444801

Eine schwangere Hebamme auf grosser Reise.

Eine schwangere Hebamme auf grosser Reise.

Eine schwangere Hebamme auf grosser Reise.

 

Babys werden überall geboren. Statt Kinderwagen, Wickelkommode, Babybettchen, Schwangerschaftskurs und medizinische Routinekontrollen, entscheiden wir uns für tausende Kilometer Überraschungspiste. “Immer ostwärts“ lautet der Reiseplan, dieses Mal mit Babybauch im sechsten Monat schwanger, unser fünfjähriger Sohn Noah bekommt ein Geschwisterchen. Und unsere Lust, die Welt zu entdecken, ist ungebrochen.

Die Idee für die Route stammt aus dem Jahre 2002. Damals hinderte uns Simons Motorradunfall an der Umsetzung, von Indien aus über China, die Mongolei und Russland nach Europa zu fahren.

Als unser erster Sohn Noah vier Jahre alt war, bauten wir unseren Bus familientauglich aus. Bevor die Schule losging, wollten wir reisen. Ein halbes Jahr erkundeten wir den Balkan. Über Ungarn bis zum Schwarzen Meer in Bulgarien, zurück entlang der Adria durch Albanien und Kroatien. In Rumänien genossen wir im Herbst zur prachtvollen Erntezeit aromatische, naturbelassene Früchte und Gemüse und herzlichste Gastfreundschaft. In Griechenland halfen wir einer Familie bei der Olivenernte und in ihrer Taverne. Zwischendrin hatten wir Zeit, am Olymp in Bergwaldduft zu wandern und am Bach zu spielen, an Stränden alles Mögliche zu sammeln und antike Stätten zu besuchen. Fort vom durchgetakteten Alltag, raus aus dem Haus, dauernd gemeinsam zu dritt im engen Bus, war eine Umstellung und es brauchte eine Weile, alte Gewohnheiten hinter sich zu lassen. Aber wie wunderbar war es, ohne Zeitdruck zusammen sein zu können!

Als nächstes wollten wir die Schweiz als möglichen Lebensort kennenlernen. Ehe wir uns versahen, kamen wir in einen Alltagstrott, jeder von uns hatte seinen Arbeitsalltag. Zum Glück trauten wir uns bald, das zu tun, was sich stimmiger anfühlte: dem vielversprechenden Schweizer Leben, den unbefristeten Verträgen abzusagen – was zwar wehtat, denn es waren tolle Arbeitsstellen und ein vielseitiges Land. Im Mai arbeitete ich noch als Hebamme in der Geburtshilfe, im Juni befanden wir uns bereits auf Russlands Strassen. Tief in Russland wärmt die Sommersonne meinen wachsenden Bauch, duftende Blumenpracht, wilde Erdbeeren, russische Weite um uns, wieder Zeit als Familie zusammen, das rollende Heim dabei, vor uns die endlose Freiheit, was will ich mehr?

Noah, mittlerweile fünf Jahre alt, weiss von Balkanreisen, wie das Leben unterwegs spielen kann. Eine Tour ins Unbekannte kann abenteuerlich sein. Zum Glück ist er ein kleiner Abenteurer.

Er freut sich richtig, dass wir wieder losfahren. Lego, Bücher, Bastelzeug, Hörspiele und Knete sind für ihn während der Fahrt interessant; sobald wir anhalten, erkundet er die Umgebung und findet immer etwas, das seine Fantasie anregt. Uns Eltern springt in der Fremde dann für einen Moment das Kopfkino an: Ist dieses Natur-Etwas zu schmutzig oder gar gefährlich? “Mama, schau mal!”, ruft er und zeigt mir begeistert sein neues Lied; er trommelt rhythmisch mit langen Knochen auf einem ausgetrockneten Pferdekopf und singt dabei. An der wilden Wolga entdeckt er Fossilien! „Schaut euch DAS an!” Spannend wird es, als wir das Schlangenparadies um uns herum bemerken. Erst abgestreifte Schlangenhäute, dann sehen wir Schlangenköpfe aus dem Wasser ragen – und dann entdecken wir all jene, die neben uns am Ufer ihre Fische verspeisen. Dass andere Kinder fehlen, ist ein bisschen schade, aber nicht schlimm. Noah geht offen auf andere zu, findet in jedem Alter Kurzzeit-Freunde und lernt, dass zum Reisen das Lebewohl-Sagen dazu gehört. Er lebt im Jetzt, mehr als wir Erwachsenen. Wir sind miteinander vertraut, tüfteln zusammen an Lösungen und er schenkt uns mit seiner kindlichen Sichtweise neue Gesichtspunkte und lockert die Stimmung auf. Es macht Spass zusammen!

Das Baby heisst Huckelbaby

“Huckelpisten” findet Noah oberspitze. Unser Bauchbaby bekommt nun auch einen passenden Namen: Huckelbaby! Je weiter im Osten, desto abenteuerlicher die Strassen. Und je wackeliger, desto eher sitze ich selbst auf dem Fahrersitz: Er ist besser gefedert. “Wir machen die Tour nochmal, wenn du nicht schwanger bist, dann kann ich die tollen Pisten auch fahren!” Simon will auch fahren – aber Schwangere haben Vorfahrt. Mein Babybauch zeigt keinerlei Anzeichen, dass es ihm zu unverträglich ist. Zu Beginn, im ländlichen Tschechien sagte ich noch, “die Holperstrassen halte ich nicht lange aus!” Aber meine Reiselust war zu gross – rasch gehörte das alltägliche Gewackel dazu, abends das Nachvibrieren im Körper. Aus hunderten Kilometern werden tausende. Aus den Wolken vor uns werden die Wolken hinter uns. Der täglich früher aufgehenden Sonne entgegen. Neue Zeitzonen kommen und gehen. Und in uns macht sich ein eigenes Zeitgefühl breit, das erste Mal im Leben unabhängig von der Uhrzeit.

Zum Reisen ins Reisebüro

Manchmal fahren wir alleine im Nirgendwo. Einmal türmten sich dicke Wolkenfronten auf, Scheibenwischer können das Geprassel kaum von der Scheibe abhalten, der Wagen stemmt sich im Matsch gegen den Wind. „Wird schon richtig sein, die Strecke“. Die Kasachstan-Umgehung ist besonders wenig befahren im Vergleich zur Hauptroute. Kurz später klart es schon wieder auf und trocknet zügig. Plötzlich wird unsere Strasse zur staubigen Geländepiste, auf der es uns aus den Sitzen wirft. Durch jede kleinste Ritze dringt der feine Staub. Nach 10 Kilometern eine neue Strasse, Wellness pur für den Allerwertesten! Die Russen bauen ihre Strassen neu, überall von West nach Ost sind Baustellen.

Um Krasnojarsk geniessen wir eine zweispurige Superstrasse. Der Wald hört auf, es wird steppenartig. Seit langem schlafen wir wieder auf einer Autostoljanka, ein für wenige Rubel bewachter Rastplatz für Lkws, was wir zu Beginn der Reise öfter machten. Jetzt suchen wir meist Plätze in der Natur. Ein Plan, wie wir in 33 Tagen bis Ulaanbaatar in die Mongolei kommen, hilft bei der Orientierung. Laut Visa dürfen wir nur vier Wochen im Land sein. Wir sind schneller als der Plan, für die täglichen Strecken brauchen wir aber mehr Zeit als gedacht. Für 460 Kilometer von Samara bis Ufa brauchten wir achteinhalb Stunden, die längste Tagesstrecke. In Sibirien stresst uns das Pausieren eher, als dass wir uns erholen – Mücken schwärmen in Fahrtgeschwindigkeit neben unseren Fenstern. Rasch durch die Sumpfgebiete…Krasnojarsk, Irkutsk…am frühen Abend weiter bis zum Baikalufer.

Bis hierher lief die Fahrt absolut reibungslos. Wir sind begeistert von unserem pistentauglichen Bus. Bis zum Baikal war es gefühlt fast ein Katzensprung! Die Ankunft soll mit einem prächtigen Schmaus gefeiert werden. Aber durch den Sand am Flussufer kommt man nur mit Schwung und davon haben wir nicht genug. Die Reifen graben sich direkt am Ufer ein! Kein Allrad und keine Riesenräder – da müssen wir mit Muskelkraft nachhelfen. Mit Buddeln und Sandblechen. Zwei Stunden später feiern wir trotzdem.

Als schwangere Hebamme ist mir klar, auf was ich mich einlasse.

Untersuchungen, die ich für sinnvoll erachte, liess ich vorher machen. Unterwegs überwache ich mich selbst mit mitgebrachten Hilfsmitteln. Sollte ich mich unwohl fühlen, nehme ich Kontakt mit einer deutschen Kollegin oder Ärztin auf, begebe mich bei Bedarf im Ausland zum Arzt oder fliege zurück. Unsere Reisekrankenversicherung übernimmt Organisation und Kosten im Krankheitsfall, aber keine normalen Vorsorgeuntersuchungen oder Geburtskosten. Meine Schwangerschaft verläuft bestens, ich benötige nichts davon. Das isolierte Reisen fern der vertrauten Welt und dem sozialen Umfeld führt dazu, dass ich mein Baby und mich selbst intensiver wahrnehme. Wenig abgelenkt von Arbeitsalltag, Meinungen anderer oder dem Ergebnis maschineller Untersuchungen bedeutet, dass ich mich mehr auf mich verlassen muss. Seltsam unbekannt, aber schön. Statt mehr Angst zu entwickeln, habe ich Vertrauen.

In der Mongolei werden wir uns für einen Geburtsort entscheiden.

Die Tour verlangt, den Kopf im Jetzt zu haben. Die Strecke braucht Aufmerksamkeit, genauso wie jeder neue Tag im Unbekannten – und langfristige Organisation. In Ulan-Ude schockiert uns die mongolische Botschaft. “Keine Visa möglich…nein, nein.” – “But we need visa for Mongolia. We have to leave Russia in five days…why is it not possible?” – “Here it is not possible!” Zum Glück wissen wir bald, dass wir beim Reisebüro besser dran sind. 20 Euro pro Kopf mehr, dafür versprechen uns die beiden alten Damen in ihrem kleinen, chaotischen Büro, dass wir übermorgen unsere fertigen Pässe zurückhaben. Und das haben wir! Sofort geht’s weiter, nur zwei Tage haben wir noch. Mit acht Einkaufstüten, einem grossen Kartoffelsack, vielen Litern Trinkwasser und Getränken kehren wir vom Supermarkt zurück zum Bus. Das soll reichen für unser Vorhaben, erst zwei bis drei Wochen ins Landesinnere der Mongolei zu reisen, bevor wir Ulaanbaatar erreichen. Mein Status als schwangere Vegetarierin ist nicht gerade die ideale Voraussetzung für eine Reise in das fleischreiche, karge und trockene Land.

Mongolische Tristess und Herzlichkeit

Sofort hinter der Grenze zeigt sich die Mongolei landestypisch: oben blau, unten grün, und kleine weisse Flecken; Himmel, Wiese, Jurten und Schafe. Von der geteerten Hauptstrasse nach Ulaanbaatar biegen wir bald westwärts ab. Auf der Piste purzelt sämtlicher Businhalt durcheinander. Bald kriechen wir einen Berghang entlang – nicht vertikal, sondern in Schräglage. Fühlt sich nach Umkippen an. “Das Gewicht ist unten”, versucht Simon mich zu beruhigen. Wie oft zuvor denke ich, “Die schlimmste Piste, die wir hatten!” Kurz darauf stehen wir vor einem Fluss. Keine Idee, wie man am besten durchfährt. Also Wassertiefe und Bodenkonsistenz prüfen. Noah und Simon stapfen, waten hierhin und dorthin, während ich erst einen Lachanfall bekomme, was wir hier eigentlich machen, und dann besorgt zur Umkehr aufrufe. Aber Simon fährt durch. Problemlos.

Die Breite und Tiefe des Flusses gehörte bald zur Normalität! Einfach durch – ohne Test! Schliesslich kommen wir nach drei Stunden und 35 Kilometern “aufregendster Piste ever” ans Talende. Das ist es wert! Gegenüber am Berghang thront eine buddhistische Tempelanlage. Amarbayasgalant. Hier herrscht Stille und Idylle. Die Mongolen im Tal treiben zu Pferde oder auf dem Motorrad die Tiere zusammen und bringen sie neben ihre Jurten. Jede Jurte hat eine Satellitenschüssel und einen qualmenden Schornstein. Eine Stromleitung verläuft parallel unserer Strecke durch dieses Tal. Jetzt verdauen wir erstmal die Piste. Das, was sie in uns auslöste, Reifenumdrehung für Reifenumdrehung. Die Reise ist auch eine psychische Aufarbeitung, kein Weg führt daran vorbei!

Flussdurchfahrten und Schrägfahren

Konzentriert komme ich im Landesinneren mit 10, 30 und manchmal sogar 50 km/h voran. Gegen den Fahrlärm muss ich anschreien. “Achtung! Huckel…Achtung! Loch…” Es poltert und rüttelt, es schwankt und wankt, mal hoch mal runter, mal links mal rechts. Unvorhersehbar. Manchmal folgt auch ein “Sorry, Leute, das habe ich jetzt unterschätzt.” Alles ist extra gut abgesichert, Türen werden mit Gurten gegen das Aufspringen gesichert. Was da wohl für ein Baby rauskommt, das diese Pisten mitmacht? Manchmal ist die Piste zu schlecht, dann weiche ich auf daneben aus. Aber daneben ist Steppe, Weideland. Unzählige, eingefahrene Wege ziehen sich parallel auf viel befahrenen Strecken durchs Land. Flussdurchfahrten und Schrägfahren gehören regelmässig dazu. Unser Navi leitet uns zuverlässig ans Ziel. Schilder, die den Weg weisen, gibt’s nicht in der Steppe. Nur einmal stehen wir vor einem Fluss, der über Nacht um einen Meter angeschwollen ist. Auf der anderen Seite liegt unser Ziel, heisse Schwefelquellen. Eine Umfahrung des Flusses würde uns den ganzen Tag kosten. Simon ist drauf und dran es zu probieren. Das Pferd, das einen Mongolen auf die andere Seite bringt, taucht bis zur Schulter ein und treibt etwas ab. Der Mongole bietet Simon an, ihn mit dem Trecker raus zu ziehen, wenn’s nicht klappen sollte. Aber ich bin auch noch da. “Nein, nein, nein”, hämmert es in meinem Kopf. “Ich will einen heilen Bus und keine extremen Manöver knapp sieben Wochen vor meiner Geburt.” Ich setze mich durch. Diesmal hat das Abenteuer keine Priorität! Am nächsten Abend sind wir bei den Schwefelquellen, ein heisses Bad – wie wunderbar! Die Stille der Steppe ist einzigartig. Weit und breit nur wir, der Steppenwind saust uns um die Ohren, die Sonne scheint. Gerade in dieser unendlichen Weite spürt man sich selbst deutlich. Nur ich und mein Babybauch. Und meine Liebsten in der Nähe.

Die Mongolen begegnen uns freundlich lächelnd, neugierig und direkt. Anhupen, zuwinken, neben uns anhalten, gucken – einmal steigt ein Reiter in den Bus, nimmt Platz, hält seine Pferdezügel, isst wie selbstverständlich mit – vermutlich das erste Mal in seinem Leben eine rein vegetarische Speise und Aachener Printen zum Nachtisch. Sein langer Mantel wiegt schwer vor “Dreck”. Aber hier bekommt “Dreck“ einen anderen Stellenwert. Wassermangel, Tierverwertung, Fette, Naturnähe, Staub, das Leben bringt völlig andere Bedingungen mit sich als bei uns daheim, wo schon ein Fleck auf dem T-Shirt auffällt. Dann lädt er Noah aufs Pferd ein. In der Abendsonne über den Steppenhügeln schauen wir den beiden zu und lauschen dem schönen mongolischen Obertongesang des Reiters.

Die Geburt naht

Mehr und mehr neige ich dazu, keine langen Strecken mehr zu laufen. Ich bin froh, wenn wir in den Bus steigen und weiterfahren Richtung Stadt. Es wird Zeit! In meinem Kopf wuselt die Organisation der anstehenden Geburt. Wir streifen eine kleine Wüstenlandschaft. Simon und Noah reiten auf einem Kamel. Ich mache Fotos und renne hinterher, ganz schön schnell die Viecher! Eine Sandkuhle sieht einladend aus, zum Ausruhen, sie ist supergemütlich. “Das wäre doch ein netter Geburtsort!”, erwische ich meine Gedanken. Halt, ich bin eine Frau aus dem Westen – der Verstand zählt – “Quatsch!”, bewerte ich, “es könnte dies und das passieren. Sei vorsichtig. Kontrolle ist besser als Vertrauen.”

Mein Abenteuer ist schon aufregend genug, ich muss es nicht auf die Spitze treiben. Ausserdem wird es in der Mongolei schnell kalt! Deswegen würde ich lieber nicht hier bleiben. Spannend, wie sich festgefahrene Denkweisen zeigen. Richtung Stadt nimmt die Besiedlung zu. Dann sehen wir ihn, hinter den Hügeln! Den grauen Schleier. “Wird Ulaanbaatar sein.” Also rein in die Dunstglocke, leider. Schwanger in so einen Mief…oh weh! Einen ganzen Monat bleiben wir. Alles geht schleppend. Die Stadt platzt aus allen Nähten, überall wird gebaut, es gibt zu viele Fahrzeuge für die Strassen, ständig Stau.

In Russland haben wir von Franzosen die Adresse eines Stellplatzes bei einem Gästehaus nahe der Innenstadt bekommen. Das ist unsere Basis, 15 Euro kostet die Nacht. Dafür gibt es den Komfort, den wir in unserer Situation brauchen. Internet, Waschmaschine, einen wunderschönen kleinen Garten, ein Restaurant, Austausch mit anderen Reisenden und einen nahen Supermarkt. Wäre nicht der Stadtmief und der Nachbar, der immer wieder hinter dem Zaun seine Matratzen abfackeln will, so dass Simon ihn mehrmals stoppen muss! Im Internet recherchiere ich, wo ich in Asien eine Auswahl an verschiedenen ausserklinischen, fachkompetenten Geburtsorten habe. Bei Nichtgefallen des Geburtshauses brauche ich Alternativen. Eine Klinik kommt für mich nicht in Frage, sollte aber mit einem Geburtshaus zusammenarbeiten. In ganz Asien finde ich nur einen Ort, der meine Ansprüche erfüllt. Nun müssen wir alles in der vorgegebenen Zeit erledigen: Verlängerung unseres Mongoleiaufenthaltes, Visa-Antrag, Art der Weiterreise. Ein Guide für eine Chinadurchreise ist uns zu teuer und zu kompliziert. Schweren Herzens entscheiden wir uns, den Bus in Ulaanbaatar zu lassen und weiterzufliegen.

Ein letztes Mal fahren wir raus aus der Stadt in den Nationalpark, die kurze Piste ist kaum noch erträglich für mich. Wir bleiben ein paar Tage am Fluss und geniessen die frische Luft. Es ist mein Geburtstag. Vollmond. In der Nacht werde ich wach und lausche. Gesänge? Ich schaue raus und entdecke an einem grossen Baum in der Nähe eine Gruppe von Frauen und Männern, die im Kreis stehen, lachen, tanzen und mongolische Lieder singen.

Das Baby kommt

Drei Wochen vor dem Geburtstermin darf uns offiziell nur noch die Fluglinie über Südkorea mitnehmen. Ein Attest über meine Flugtauglichkeit habe ich vorher im Krankenhaus besorgt, die Ärzte haben über die grosse Nase meines Babys im Ultraschall gestaunt. Unseren Bus haben wir bei einem Lkw-Unternehmen abgestellt. Wir sind froh, endlich die Stadt zu verlassen, aber ohne Bus auch wehmütig. Der Flug bringt uns abrupt in eine völlig andere Welt. Wir landen dort, wo Simon und ich uns vor elf Jahren kennenlernten. Zur Geburt unseres zweiten Kindes sind wir zurück! Die Luft ist dick, heiss und feucht. Indien zur Nachmonsunzeit.

“In Indien ist alles möglich”, war 2002 mein Leitspruch, als ich ein Jahr lang hier verbrachte. Eigentlich darf mich schwanger nach der 36. Woche keine indische Fluggesellschaft mehr mitnehmen. Ich versuche es trotzdem und kaufe Tickets zum Weiterflug. Als wir im Flieger schon angeschnallt sitzen, verlangt der Pilot mein Attest, lässt es aber durchgehen. “In one hour we’ll be there!”, lacht die Stewardess. Yeah! Die ersten Tage wohnen wir direkt am Strand und gewöhnen uns an den 30-Grad-Temperaturunterschied; es gibt frische Früchte und Kokosnüsse. Das erste Geburtshaus entpuppt sich tatsächlich als Reinfall, es ist kein bisschen so, wie im Internet dargestellt und telefonisch ausgekundschaftet. Zufällig treffe ich eine deutsche Hausgeburts-Hebamme, die seit Jahrzehnten in Goa tätig ist. Dank Corinna finden wir eine schöne Wohnung mit Komfort wie westlicher Toilette, Waschmaschine und Pool. Kaum ziehen wir ein, so als hätte ich das Zeichen “Alles erledigt! Wir sind am Ort!” gegeben, macht sich unser Huckelbaby auf den Weg. Nach einer “Wir besorgen schnell noch alles”-Tour mit dem Taxi kommt am Abend Finn im Pool zur Welt. Alles ist entspannt und prima, er kam ein wenig vor Termin, genau einen Vollmond nach meinem Geburtstag. Unser zweites Vollmondbaby!

Ab jetzt ist Ruhe angesagt. Das ist komisch nach so viel Hin und Her in den letzten Monaten. Simon und Noah fahren jetzt mit einem Roller, lernen Familien und eine internationale Schule kennen. Indische Wochenbettmassagen, leckeres Essen, Strandspaziergänge mit Baby in der Trage – perfekt. Ein halbes Jahr bleiben wir. Die selbstbestimmte Art zu reisen vermissen wir, unseren Bus hätten wir gerne vor der Tür stehen. Dem Overlander-Stellplatz in Agonda fühlen wir uns mehr zugehörig als unserer Strandhütte. Aber unser Bus ist nicht mehr in Asien! In Ulaanbaatar hatten wir einen Österreicher kennengelernt und ihm unseren Bus zur Rückfahrt anvertraut. Gerne wären wir mit dem Baby in die Mongolei zurückgekehrt.

Im Februar kommen wir in Sandalen in Bayern an. Simon holt unseren Bus ab. Der Freude folgt ein Schock. Viel ist nicht mehr vorhanden, geklaut, in der Mongolei “vergessen”, abgefallen, abgefahren. Ich hatte ihn super geputzt hinterlassen, davon ist nichts mehr zu sehen. Mäuse, russisches Schokoladenpapier, Müll, alles angenagt, vollgekackt und eingepinkelt, kaputt… Viel Arbeit wartet auf uns! Der Österreicher fühlt sich wohl nicht mehr zuständig. Immerhin haben wir unseren Bus zurück. Im Frühling fahren wir in die deutsche Bodensee-Ecke, die uns zuvor von der Schweiz aus so gut gefallen hatte, und bleiben. Für Noah beginnt die Schule und wir richten uns im deutschen Alltag ein. Wie Aliens fühlen wir uns, vermissen die Leichtigkeit und Freiheit.

Vier Jahre später brechen wir wieder auf, die Jungs sind 5 und 11, der Bus ist gealtert, verändert ausgebaut und langsamer, dafür geruhsamer. Schwanger zu reisen, war für mich eine tolle Erfahrung, die mir neue Wahrnehmungen schenkte. Ich bin dankbar, wie sich alles fliessend ergeben hat. Nun kriegen wir unseren Kopf wieder frei vom stressigen Alltag, aber vor allem von alten Mustern, wie man als Familie zu leben hat. Wichtig ist uns, mehr Zeit gemeinsam zu verbringen; die Kinder werden schnell gross.

Fotos: Anne-Silja Schmidt-Winkler

Die grosse Reise von Alaska nach Argentinien

Die grosse Reise von Alaska nach Argentinien

Die grosse Reise von Alaska nach Argentinien

 

Nachdem wir uns erst zwei Monate zuvor getroffen hatten, brachten uns unstillbares Fernweh und spontane Abenteuerlust auf eine Idee. Zusammen würden wir den Planeten befahren. Inspiriert hatten uns die 26 Jahre Weltreise von Gunther Holtorf. Wir planten eine 350’000 km lange Reise mit dem Start der ersten Etappe von Alaska nach Argentinien.

Topher und ich hatten weder Geländeerfahrung noch Ahnung von Technik oder Overlanding. Da die Abreise bereits in einem Monat war, würden wir uns die unabdingbaren Kenntnisse erst unterwegs aneignen können.

Aufgrund der Eile waren wir sehr zurückhaltend mit Informationen zu unserer geplanten Expedition; unsere Freunde und Familie zu Hause in Neuseeland wussten von unseren Plänen nur wenig. Unser Ziel war es, die Expedition am ersten Tag vom nördlichsten Punkt Amerikas aus anzukündigen.

Live in Alaska

Wir flogen von Auckland nach Vancouver, Kanada, und trafen unseren dritten Reisebegleiter: Gunther, ein 2015er Jeep Wrangler Rubicon. Eine Woche später war er gepackt, mit einem Dachträger ausgestattet und einsatzbereit. Wir fuhren nach Norden Richtung Deadhorse, Alaska, dem Ausgangspunkt unserer Expedition. Nach 10 Tagen erreichten wir die abgelegene Bergbaustadt und das Ende der Strasse. 1100 Kilometer zuvor hatten wir den Polarkreis überquert, jetzt waren wir auf der North Slope mit schockierenden Temperaturen zwischen -15 und -30 Grad.

Gunther parkte draussen, wir sassen glücklich in einer Cafeteria voller Ölbohrarbeiter aus der Gegend. Ohne Mobilfunksignal mussten wir das WiFi nutzen, um unsere Freunde und Familie zu Hause einzuweihen. Nervös vor Aufregung verliessen wir unsere Komfortzone und liessen am 7. April 2018 um 20:00 Uhr die Expedition Erde vom Stapel. Wir fuhren unsere Website hoch, starteten Instagram, aktualisierten unseren Facebook-Status, schalteten Timer und Garmin GPS-Live-Tracker ein.

Die Message war eindeutig: Folgt der Expedition und unserem GPS-Link JETZT auf dem Weg nach Süden. Expedition Erde war live und unser Adrenalinspiegel stieg ins Unendliche. Wir hatten das Gefühl, plötzlich im Mittelpunkt der Welt zu stehen. Wir wurden mit Kommentaren überflutet, die Live Tracker-Klicks stiegen und stiegen.

Es war Zeit, uns auf die erste von drei Etappen zu begeben, unsere Fahrt von Alaska nach Argentinien. Wir eilten zu Gunther, umarmten und küssten uns, drehten am Zündschlüssel und – nichts. Ein nervöses Lachen, “Das glaub’ ich jetzt nicht”, und noch ein Versuch – nichts.

Wir wussten, dass bei diesen Temperaturen eine Standheizung von Nöten war, hatten aber nicht damit gerechnet, dass die Batterie in nur einer Stunde komplett leer sein würde. Wir überprüften die Systeme und stellten fest, dass Topher das Licht angelassen hatte.

Diese erste Herausforderung war spannend, da wir endlich unsere Bergeausrüstung ausprobieren konnten. Nach wenigen Minuten – die Zeit, in der das Personal die Cafeteria dicht machte und nach Hause ging – war klar, dass sich auch die Batterie unseres mobilen Starterkits in der unmenschlichen Kälte entladen hatte. Bei -30 Grad und mit eiskalten Händen sassen wir fest, nichts ging mehr.

Retter mit Fahne

Bei solchen Temperaturen und dem plötzlichen Zustrom von Anrufen und Nachrichten unserer Freunde und Familie starben auch unsere Telefonakkus schnell den Gefrier-Tod. Aber der Live Tracker lief…

Versucht mal jemanden zu finden, der hilft, dein Fahrzeug um 22:00 Uhr am Polarkreis zu starten. Das kann schwierig sein, besonders wenn du ein nüchternes Rettungsteam erwartest. Unser Retter in der Not erschien in einem brandneuen russischen Tundra. Als er sein Fenster öffnete, sahen und vor allem rochen wir einen modernen Piraten. Er plumpste vom Fahrersitz und war so betrunken, dass er vergessen hatte, wie man die Motorhaube öffnet. Schliesslich gelang es Topher, die Haube zu entriegeln. Gunther wurde wiederbelebt und wir konnten endlich losfahren.

Deprimiert versuchten wir beide, das sich ausbreitende Gefühl von Unzulänglichkeit in Sachen Technik und Mechanik mit Schweigen zu vertuschen.

Es war jetzt 22:45 Uhr. Wir würden unser Ziel für die Nacht nicht mehr erreichen, und dies war nur der erste von 1‘195 Tagen geplanter Reise. Hungrig, kalt und müde beschlossen wir, unser Lager gleich ausserhalb von Deadhorse aufzuschlagen. Wir fanden einen geeigneten Platz 30 Minuten vor der Stadt und begannen, uns für die Nacht einzurichten. In den nördlichen Regionen unserer Expedition wollten wir im Jeep schlafen und das Zelt in den wärmeren Klimazonen benutzen. Topher begann, die Betten zu machen, während ich das Abendessen vorbereitete.

Da wussten wir noch nicht, dass unser Essen auf dem Rücksitz eingefroren war. Nicht nur das, auch unser Trink- und Kochwasser war ein einziger Eisblock, und das Propangas für den Kocher hatte sich verflüssigt.

Um 1:00 Uhr morgens lagen wir im Bett, unser Live Tracker zeigte stolz unseren Standort nur 27 Kilometer hinter Deadhorse. Zweifel an unserer Reise über sieben Kontinente machten sich breit und wir begannen, Fragen zu stellen. Machen wir den grössten Fehler unseres Lebens? Bekommen wir unsere Ersparnisse zurück, wenn wir morgen alles verkaufen? Wie sollen wir das überleben?

Ein Jahr später: Topher ist gerade dabei, bei 40 Grad Hitze in Namibia unser Lager aufzuschlagen, während ich diesen Artikel schreibe. Letztes Jahr haben wir den amerikanischen Doppelkontinent in acht Monaten mit nur einer Reifenpanne gemeistert – ohne leere Batterien, ohne leere Tanks, ohne etwas verloren zu haben und ohne einen einzigen Kratzer an Gunther. Auf der zweiten Etappe unserer Reise reisen wir nun nach Ostafrika und über den Mittleren Osten zum nördlichsten Punkt Europas, dem Nordkap in Norwegen. Expedition Erde war die beste und aufregendste Entscheidung unseres Lebens.

Fotos: Bridget Thackwray und Topher Richwhite