Angefangen haben sie mal mit ein paar Skizzen. Doch mittlerweile nimmt Mercedes die LA Design Challenge so ernst, dass die Schwaben für den Kreativwettbewerb der Los Angeles Auto Show diesmal sogar ein komplettes Fahrzeug aufgebaut haben. Und was für eines.
Stuttgart. So richtig ernst hat die LA Design Challenge bislang keiner genommen. Ein paar schräge Ideen und ein paar bunte Skizzen – das war alles, was die Designstudios in Kalifornien in den letzten Jahren für den Kreativwettbewerb zur Automesse in Los Angeles eingereicht haben. Und selbst auf der Messe war davon nicht mehr zu sehen als ein paar lebensgrosse Aufsteller aus Pappe.
Doch seit Gordon Wagener die Designabteilung von Mercedes führt, ist das zumindest bei den Schwaben ein bisschen anders. Wagener, der schliesslich selbst einmal das Studio im kalifornischen Carlsbad geleitet hat, weiss um den Wert des Wettbewerbs und die Kraft, die solche eine Ausschreibung bei seinen Mitarbeitern freisetzen kann. „Für uns ist das eine Art Wildcard, die wir mit wachsender Begeisterung spielen“, sagt der Designchef. Denn bei solch abgefahrenen Studien können seine Mitarbeiter viel freier Arbeiten und viel leichter neue Ideen entwickeln, als bei einem konkreten Serienprojekt. Nicht umsonst hat Mercedes in den letzten Jahren plötzlich damit begonnen, für den Wettbewerb auch dreidimensionale Entwürfe wie den Biome auf die Räder zu stellen. Und in diesem Jahr dreht Wageners Mannschaft das Rad noch ein bisschen weiter: Zum ersten Mal bauen die Schwaben ein komplettes Fahrzeug auf. Und was für eines!
Wanted: “Highway Patrol Vehicle“ für das Jahr 2025
Auf der Suche nach dem von der Jury eingeforderten „Highway Patrol Vehicle“ für das Jahr 2025 sind sie in der Vergangenheit fündig geworden und haben die gute, alte G-Klasse entdeckt. Der SUV-Saurier, der seit seinem Debüt vor über 30 Jahren jeder Mode getrotzt hat und heute noch immer fast genauso aussieht wie bei der Premiere 1979, wird auf dem Storyboard der Designer zum Energ-G-Force – einem modernen Monster-Jeep mit Brennstoffzelle, Blaulicht und Ballonreifen, den nichts und niemand stoppen kann. „Und das Leben in Uniform ist der G-Klasse ja keineswegs fremd“, sagt Wagener mit Blick auf das schwarz-weisse Polizei-Livree der ersten Skizzen, das der Studie so gut steht wie der G-Klasse das Oliv der Bundesweht oder das Blau des Technischen Hilfswerks.
Für den Wettbewerb müssen diese bunten Bildchen reichen. Doch die Idee des Geländewagens der Zukunft hat die Designer des Advanced Design Studios in Carlsbad so fasziniert, dass sie die Fiktion der Polizeivariante zu einer zivilen Version weiterentwickelt und als 1:1-Modell sogar auf die Räder gestellt haben. Denn viel zu lange hat sich in Stuttgart keiner an die G-Klasse heran getraut.
Natürlich darf jetzt niemand erwarten, dass schon in ein zwei Jahren eine neue G-Klasse kommt. Und erst recht sei die Form der Studie keine Blaupause für die nächste Generation, rudert Wagener zurück. „Wir haben das Auto bewusst so überzeichnet, dass darauf niemand darauf hoffen kann“, sagt er mit Blick auf die aufgebockte Karosse auf den riesigen Rädern und das im Gegenzug wie bei einem US-Tuning-Modell gechoppte, also tiefergelegte Dach. Doch erstens wollten die Schwaben mit dem Entwurf allen zeigen, dass der Klassiker durchaus eine Zukunft hat. Und zweitens will Wagener die Mercedes-Kundschaft auf eine stilistische Spaltung der Geländewagen-Palette einstimmen: Auf der einen Seite soll es künftig die modischen Stadt-SUV geben, die dafür etwas sportlicher und schlanker werden. Und auf der anderen Seite sieht er die Steinbeisser im Geist des G, die gar nicht robust und rustikal genau sein können – genau wie der Ener-G-Force eben.
Mercedes Ener-G-Force nimmt bewusst Abschied vom Diktat der kantigen G-Klasse
Retro-Design scheidet dabei allerdings aus, sagt Wagener: „Wir wollen keine Klassiker nachbauen, sondern neue Klassiker schaffen.“ Deshalb nimmt der Ener-G-Force ganz bewusst Abschied vom Diktat der Kante, dass die G-Klasse über 30 Jahre geprägt hat. Statt absolut planer Bleche hat die Studie deshalb stark modellierte Flächen, die Ecken dürfen auch einmal rund sein, und wo früher eine Kante war, kann es jetzt auch mal eine Kurve geben. Doch mit ein paar wenigen Details räumen die Designer alle Zweifel an der Abstammung des futuristischen Wühlers beiseite: Die Kühlergrill zum Beispiel hat deshalb fast dieselbe Form wie beim Original, die Radläufe sind genauso eckig geformt, das Dach ist hier wie dort eine perfekte, waagrechte Linie, die so genannte Toolbox für das Expeditionswerkzeug am Heck sieh aus wie früher das Ersatzrad. Und natürlich hat auch der G für Übermorgen wieder hoch gerückte Positionsleuchten, die wie Krokodilsaugen auf den Kotflügeln thronen. Wer trotzdem an der Echtheit zweifelt, der muss der Studie nur in die Scheinwerfer schauen: Die strahlen dank LED-Technik genau mit jedem Buchstaben, mit dem die Gelände-Geschichte vor 30 Jahren begonnen hat: einem G.
Während die Form mit ein paar Abstrichen also durchaus ernst gemeint ist, haben die Designer bei der Technik der Studie ihrer Phantasie freien Lauf gelassen. Das Terra-Scan-System, das mit Radar und Video das Terrain sondiert und den Allradler perfekt für seinen Geländetrip konfiguriert, ist zwar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt. Schliesslich soll eine ganz ähnliche Technik die neue S-Klasse über alle Fahrbahnunebenheiten hinweg heben und buchstäblich zum fliegenden Teppich machen. Doch eine Brennstoffzelle, die mit Wasserstoff aus Regenwasser betrieben wird, ist genauso Science Fiction wie elektrische Radnaben-Motoren, die ein Auto dieses Formats 800 Kilometer weit voran bringen sollen. „Aber ein bisschen Spinnerei muss bei solchen Studien ja erlaubt sein“, wirbt Wagener um Verständnis.
Immerhin hat seine Mannschaft jetzt nach dem Biome schon zum zweiten Mal bewiesen, dass ihre Entwürfe für die LA Design-Challenge nicht nur in zwei, sondern auch in drei Dimensionen funktionieren. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass so ein Auto auch mal richtig fahren lernt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.