Kirchhoff Mobility AG: Der Alltag im Rollstuhl gleicht einem Hürdenlauf. Überall lauern mehr oder weniger gut überwindbare Hindernissen: die Stufe vor dem Café, der hohe Randstein des Trottoirs und die steile Rampe beim Bahnhof oder der Tramstation.
Geht es um die individuelle Mobilität, wird es nicht einfacher. Ein Auto muss her, doch welches? Und was muss daran alles verändert werden, damit es dann auch den eigenen Bedürfnissen und derer den Angehörigen gerecht wird? 4x4Schweiz war dabei, als die Kirchhoff Mobility AG, ehemals Fritz Haueter AG, eine Mercedes-Benz V-Klasse mit 4Matic zum ersten rollstuhlfähigen Allradler der Schweiz umgebaut hat.
Grenzen sind überall
Ist die eigene Mobilität oder die von Angehörigen eingeschränkt, stösst man schnell an Grenzen. Eingangs erwähnte Hindernisse und daraus resultierende Abhängigkeit von Mitmenschen, wie zum Beispiel beim Besteigen eines Zuges, lassen die Lust aufs Reisen schnell vergehen. Doch auch Wege zur Schule, zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Sport oder zur Therapie werden für Betroffene zur Gedulds- und für Angehörige zur Kraftprobe.
Um sich uneingeschränkt bewegen zu können, ist ein eigenes Auto, das die individuellen Einschränkungen eines gehbehinderten Menschen berücksichtigt, kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Ein Auto, das genug Platz für den Rollstuhl und allfälliges Reisegepäck bietet. Und bei dem das Umsetzen vom Rollstuhl in das Auto mehr oder weniger bequem möglich ist. Da stösst so mancher Wagen an seine Grenzen.
Selbstfahrer oder Heckeinsteiger?
«Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Kunde selber fahren kann und möchte, oder ob das jemand für ihn übernimmt. Dementsprechend erarbeiten wir die Möglichkeiten, die er oder sie bei der Fahrzeugwahl hat.» erklärt uns Pascal Fossa, Geschäftsführer der Kirchhoff Mobility AG in Stäfa am Zürichsee.
Nicht jedes Fahrzeug eignet sich für einen Umbau. Je nach Bauart ist es schlicht nicht möglich, den Boden im hinteren Bereich abzusenken, um eine Rampe einzubauen. Der „Heckeinsteiger“ wie dies genannt wird, ermöglicht ein einfaches Einfahren mit dem Rollstuhl. Was dann auch mit schweren, elektrischen Rollstühlen möglich ist.
Der Rollstuhlfahrer selbst bleibt einfach in seinem Rollstuhl sitzen. Dieser wird fest verankert und zusätzlich Kopfstütze, Rückenlehne und ein Drei-Punkte-Sicherheitsgurt angebracht. Ein Umsetzen vom Rollstuhl in das Auto ist nicht mehr notwendig. «So sitzt der Rollstuhlfahrer so sicher, wie in einem normalen Autositz», so Pascal Fossa.
Voraussetzung für solche Umbaumassnahmen ist natürlich erstmal ein geeignetes Fahrzeug. Ein solches zu finden gestaltet sich für Betroffene oft nicht ganz so einfach. Konventionelle Kriterien wie Form, Leistung, Ausstattung oder Budget spielen erstmal keine grosse Rolle.
«Wir haben fast 2 Jahre nach einem geeigneten Auto gesucht»
«Wir haben fast 2 Jahre nach einem geeigneten Auto gesucht», erzählt uns Mevlida Zoronjic, die täglich mit ihrer 22 jährigen Tochter Ajla unterwegs ist. Ajla ist dank eines elektrischen Rollstuhles mobil. Dieser ist allerdings sehr schwer. «Ajla umzusetzen und den Rollstuhl einzuladen war schon immer ein Kraftakt. Und das teilweise mehrmals täglich. Ich bin froh, dass Ajla nun selbständig in das neue Auto fahren kann. Ich bin nicht mehr die Jüngste!» lacht Mevlida Zoronjic.
Full Service bei Kirchhoff Mobility AG
Die Suche hatte ein Ende, als die Familie Zoronjic auf einer Messe auf die Kirchhoff Mobility AG stiess. „Sie haben alle Abklärungen für uns erledigt“, erzählt Mevlida. Andere Firmen hätten ihr zwar Prospekte von vorhandenen Umbauten geschickt, aber ihre Fragen, ob das auch mit Autos mit 4×4-Antrieb möglich sei, blieben meist unbeantwortet. «Wir wohnen weit oben am Berg», erklärt Safet Zoronojic, Vater von Ajla und Ehemann von Mevlida. «Wir haben oft und viel Schnee und glatte Strassen und ein Allradler ist schon essenziell».
Die Wahl fiel schlussendlich auf die Mercedes V-Klasse mit 4Matic, dem Allradantrieb von Mercedes-Benz.
Im Vorfeld klärte Kirchhoff Mobility, ob „Nivo“ – der hauseigene Umbausatz für Heckeinsteiger – auch in der V-Klasse mit 4Matic eingebaut werden kann und darf. Anschliessend wurden mit der Herstellerfirma und dem Strassenverkehrsamt bzw. der Motorfahrzeugkontrolle alle nötigen Prüfungen und Zulassungen erledigt. Die V-Klasse von Mercedes wie auch der Caddy von Volkswagen sind beliebte Fahrzeuge für einen Umbau zu Heckeinsteigern. Doch noch nie hatte Kirchhoff einen Allradler umgebaut.
«Beim VW Caddy 4Motion ist der Umbau konstruktionsbedingt nicht möglich»
«Beim VW Caddy 4Motion ist der Umbau konstruktionsbedingt zum Beispiel nicht möglich», erklärt Pascal Fossa. «Ausserdem ist der viel zu klein», wirft Safet Zoronjic ein. «Neben meiner Frau, mir und Ajla fahren ja auch noch unsere Tochter Marijem und unser Sohn Alen mit. Ausserdem haben wir viel Gepäck, wenn wir verreisen! Da brauchen wir neben dem Rollstuhl eine komplette Sitzbank und den Platz für das Gepäck.»
Der Service von Kirchhoff Mobility umfasst nicht nur die Beratung bei der Wahl des Fahrzeuges und den Umbaumöglichkeiten. Seit über 30 Jahren ist Kirchhoff Mobility im deutschsprachigen Raum als unabhängiger Fahrzeugumrüster tätig und übernimmt auf Wunsch von der Fahrzeugbeschaffung bis zum Pannendienst alle Leistungen rund um die Mobilität.
Hochpräzise Umbauteile – professionell eingebaut.
Als wir in der Werkstatt in Regensdorf vorfuhren, stand der nagelneue Wagen bereits auf der Hebebühne. Die hinteren Sitze waren ausgebaut und die Innenverkleidung demontiert. Die Karosseriebauer waren gerade dabei, mit der Pressluftsäge den Kofferraumboden herauszutrennen. Angesichts des unbenutzten Zustandes des Fahrzeuges ist die Säge ein Werkzeug, das einen leer schlucken lässt. Doch die Sorgfalt, mit der die Arbeiten vorgenommen werden, lässt den anfänglichen Schrecken schnell vergessen und die Faszination für die bereit liegenden, hochpräzisen Einbauteile überwiegt.
Der Umbausatz besteht aus einer rund 1m2 grossen Bodenwanne, die nach hinten schräg abfällt, einer auf rund 1.5 Meter ausklappbaren Rampe sowie einer drehbaren Kopf- und Rückenstütze. Natürlich sind auch die Verankerungen für den Rollstuhl, die Sicherheitsgurte sowie die Teile für die Umleitung der Abgasanlage mit dabei. Das komplette Set ist in rund 10 Tagen eingebaut.
Im Falle der V-Klasse ist nicht etwa das Ausschneiden des Kofferraumbodens, Rostvorsorge und die Einpassung der Wanne und der Rampe die Herausforderung für die Karosserieexperten. Auch das Umlegen der Auspuffanlage lässt sie ziemlich kalt. Vielmehr ist es der Umbau der Kunststoff-Heckstossstange: Das Mittelteil des originalen Stossfängers wird ausgebaut und mittels einer Verlängerung an der nach oben öffnenden Heckklappe befestigt. Das ist nötig, um den Heckeinstieg soweit absenken zu können, dass der Rampenwinkel für das Einfahren mit dem Rollstuhl flach genug ausfällt.
Der Umbau macht auch vor der Elektrik nicht Halt
Der Umbau birgt aber nicht nur Tücken beim Anpassen von Kunststoff und Metall. Auch die Elektrik muss entsprechend umgerüstet werden: Verlaufen die Zuleitungen der Parksensoren im Originalfahrzeug direkt vom Kabelbaum in die hintere Stossstange, müssen sie nun erst nach oben zu den Scharnieren der Heckklappe und dann in dieser wieder nach unten in die verlegte Stossstange gezogen werden. Was den elektrischen Widerstand aufgrund der veränderten Kabellänge und somit das Ansprechverhalten der Sensoren ändert. Die Experten von Kirchhoff Mobility kennen sich auch mit diesen Details aus und der für den Laien mehr als verwirrende Kabelsalat hat Struktur. Nach einigen fleissigen Stunden mit Kabeln, Steckern und Lötkolben funktionieren die Sensoren tadellos und die Kabel sind wieder ordnungsgemäss im Fahrzeug verlegt.
Ist schlussendlich auch die schwenkbare und über einen massiven Griff arretierbare Kopf- und Rückenstütze eingebaut, geht es an das Verlegen des Innenraum-Teppichs. Am Ende sieht alles fast so aus, als ob nie ein Eingriff stattgefunden hätte und das Auto genau so vom Band lief.
Anpassung bis ins letzte Detail
Spannend war auch die Fahrzeugübergabe an den Kunden. Die ist etwas mit einem Schneider zu vergleichen, wenn man den handgefertigten Massanzug abholt: es wird an- bzw. ausprobiert und alles ganz auf die Bedürfnisse des Kunden angepasst. Je nach dem müssen die Verankerungen für den Rollstuhl nochmals versetzt werden. «Unsere Kunden fahren ganz unterschiedliche Rollstühle. Und da sie ja darauf angewiesen sind, können sie uns diese nicht mal eben für eine Anpassung der Stuhlverankerung überlassen. Das geschieht dann quasi bei der Übergabe.» so Pascal Fossa.
Und weil die Bedürfnisse und Anforderungen so unterschiedlich sind, sind Fahrzeuge für Menschen mit eingeschränkter Mobilität so individuell, wie die Menschen selbst, die sie nutzen. Dem gerecht zu werden hat sich Kirchhoff Mobility auf die Fahne geschrieben:
«Mobil zu sein bedeutet mehr, als nur von A nach B zu kommen. Es bedeutet, aktiv am Leben teilzunehmen, einen Beruf auszuüben, soziale Kontakte zu pflegen, etwas mit der Familie zu unternehmen und vieles mehr. Ein wichtiges Instrument, damit Sie Ihre individuelle Mobilität verwirklichen können, ist Ihr Fahrzeug.»
So steht es auf der Website von Kirchhoff Mobility. Und dem können wir uns nur anschliessen.
Technische Daten: Mercedes-Benz V-Klasse 250 d 4MATIC
Fünftüriger (Schiebetüren seitlich), achtsitziger (vor Umbau) Transporter mit Allradantrieb, 7-G-Tronic Plus-Getriebe, Länge: 5.14 Meter, Breite: 1.93 Meter, Höhe: 1,88 Meter, Radstand: 3.20 Meter, Kofferraumvolumen: 1’030 Liter
2.2-Liter-Vierzylinder-Diesel, 140 kW/190 PS, maximales Drehmoment: 439 Nm
Durchschnittsverbrauch: 6,7 l/100 km, CO2-Ausstoss: 177 g/km, Abgasnorm: Euro 6 Gr.I, Effizienzklasse: F, Preis: ab CHF 61’250 (ohne Umbau)
Kurzcharakteristik: Mercedes-Benz V-Klasse 250d 4MATIC
WARUM?
Weil Mobilität auch für mobilitätseingeschränkte Menschen enorm wichtig ist.
WARUM NICHT?
Weil es auch zuhause schön ist.
WAS SONST?
Ford Transit, Peugeot Traveller, Citroën Space Tourer.
Alles jedoch ohne Allradantrieb.