International Harvester Scout Szene
13.12.202229944
Bislang waren die Scout-Fans im Orange County eine ziemlich eingeschworene Gemeinschaft und bei ihren samstäglichen Treffen meistens allein. Doch plötzlich interessiert sich alle Welt für ihren rustikalen Geländewagen. Und der Grund dafür liegt ausgerechnet in Wolfsburg.
Eigentlich wollte Dana am liebsten einen alten Bronco als Cruiser für den Pacific Coast Highway kaufen. Doch seit Ford die Neuauflage des legendären Geländewagens gebracht hat, sind die Preise durch die Decke gegangen. „Unter 80.000 Dollar war nichts zu bekommen“, schimpft der Mitsechziger aus dem Grossraum von Los Angeles, der sich seine Pension mit Pinseleien aufbessert. Und weil es vom Chevrolet Blazer nur wenige coole Jahre gab und gute Klassiker entsprechend rar sind, ist er am Ende auf den Scout gekommen. „Dabei wusste ich anfangs gar nicht so recht, was das eigentlich ist“, räumt der Rentner ein. Denn auch wenn Autofans beim Namen „Scout“ ein bisschen mehr in den Sinn kommt als ihre Jugend bei den Pfadfindern, ist Danas rustikaler Allradler selbst in den USA ein Exot – schliesslich wird er seit über 50 Jahren nicht mehr gebaut.

Zwei Jahre, 20.000 Dollar und unzählige Garagenstunden nach seinem Verlegenheitskauf weiss es Dana natürlich besser und seit er die Geschichte kennt, ist er noch stolzer auf sein Auto. „Denn streng genommen ist der Scout die Mutter aller SUV und hat den Pick-up von den Farmen in die Freizeit geholt“, sagt der spätberufene Experte und beschreibt den Scout mit einem Begriff, den man damals wahrscheinlich noch nicht einmal buchstabieren konnte: „Lifestyle-Auto“.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Um das zu belegen, erzählt er die Geschichte vom Landmaschinen-Hersteller, der noch vor den „Big Three“ aus Detroit an die vielen GIs gedacht hat, die vom Krieg zurückkamen und auch nach ihrem Militärdienst ein Auto wie den Willys Jeep fahren wollten. Noch bevor es von Ford einen Bronco und von Chevrolet einen Blazer gab, wurde deshalb in Ford Wayne in Indiana 1960 der erste Scout gebaut – angetrieben von einem 2,5 Liter grossen Vierzylinder mit knapp 100 PS, der später durch einen selbst entwickelten V8-Motor mit bis zu 5,0 Litern Hubraum und 304 PS ersetzt wurde. Gute Zehn Jahre später kommt der Scout II, der deutlich grösser ausfällt und durchläuft, bis sich International Harvester (IH) in den 1980ern wieder auf den Landmaschinenbau konzentriert. „Anders als die Grossen in Detroit hat sich IH beim Poker mit den Auto-Gewerkschaften verzockt und musste den Pick-up deshalb 1980 aufgeben“, fasst Danas Kumpel Richard, der sogar mal bei IH im Service gearbeitet hat, das Ende der Pfadfinderei zusammen. Während Ford mittlerweile mehrere Millionen Bronco produziert hat, sind in knapp 20 Jahren nur gut 530.000 Scout gebaut worden.
Wer sich mit Dana und Richard zu Benzingesprächen über den Scout treffen will, den bestellen die beiden gerne auf einen Supermarkt-Parkplatz in Seal Beach. Dort veranstaltet der Fanclub „Scouts West“ einmal im Monat an einem Samstagmorgen ein Pfadfinder-Treffen der automobilen Art: Erst steht man ein, zwei Stunden an den Autos, beugt sich unter Motorhauben, bewundert die neuesten Umbauten und spült dabei kübelweise mit schlechtem Kaffee die klebrigen Donuts hinunter. Und dann fährt die ganze Meute auf den Highway und cruist im Convoi gen Süden.
Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Die Flotte könnte dabei kaum bunter sein. Auch wenn es streng genommen nur drei Modelle gab, sieht jedes Auto anders aus: „Der Scout ist so vielseitig, dass ihn jeder anders nutzt“, sagt Shaun, der als Präsident des lokalen Club-Chapters so etwas wie der Gastgeber und Platzwart ist bei den lockeren Treffen. Er spielt damit gerne den Sunny-Boy und kutschiert auf der offenen Ladefläche sein Surfbrett zum Strand, andere cruisen ohne das Hardtop im offenen Scout über den Boulevard und viele haben ihn zum Hardcore-Offroader umgebaut und pflügen damit durch die Wildnis.

Aber egal ob sie ihr Auto mit ehrlicher Patina fahren, als Restomod mit LED-Scheinwerfern und wattgewaltigen Soundsystemen oder als aufgebockte Bergziege auf Rädern, die über Stock und Stein bis auf die höchsten Gipfel der Sierra klettert – allen gemein ist die Begeisterung für den Scout, die bis zu den Goldketten reicht, die einigen Sammlern pfundschwer um den Hals baumeln.

Und die Neugier, auf das, was da noch kommen mag. Denn vor ein paar Monaten hat Volkswagen ein Revival des Scout angekündigt und seitdem ist nichts mehr wie es war: Waren Shaun und seine Gefolgsleute früher eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft, kommen neuerdings immer mehr Autos zu den Treffen – und viele Schaulustige, die den Scout plötzlich als amerikanische Ikone entdecken und sich Gedanken über dessen Zukunft machen.

Wenn sie mit Dana oder Richard reden oder im Netz googeln, dann lernen sie, dass die Marke Scout auf den Umweg über Navistar und Traton im Portfolio der Niedersachsen gelandet ist. Und ein paar Links weiter erfahren sie von den Plänen, den alten Namen auf neuen Glanz zu polieren und VW so in den USA endlich zu jener zu Grösse führen, die einer automobilen Weltmacht in ihren eigenen Augen geziemt. Nicht mehr unter „ferner liefen“ und sogar hinter Subaru wollen die Wolfsburger in der Statistik einsortiert werden, sondern als ganz dicke Nummer irgendwo auf dem Niveau von Toyota, Hyundai und Kia oder wenigstens von Honda.

Weil das mit den europäischen Export-Modellen genau so wenig gelingt wie mit den von den Europäern für die Amerikaner gemachten Autos aus Chattanooga, also dem eher glücklosen und deshalb längst eingestellten US-Passat sowie dem schon etwas erfolgreicheren Atlas, will VW die Amerikaner jetzt bei der Ehre packen und drängt in das seit Jahrzehnten wichtigste Segment des Marktes: die Full-Size Pick-ups. Kein geringer als der Ford F150, immerhin seit einem halben Jahrhundert das meistverkaufte Auto in den USA, ist das Vorbild, dem sie mit dem Scout nacheifern. Und die Elektrifizierung ist der Schlüssel dazu, sagt Scott Keogh, der als US-Chef des Konzerns die Idee geboren hat und grade erst zum Präsidenten der neuen Marke ernannt wurde – ausgestattet mit einem dreistelligen Millionenbetrag, mit dem er in den nächsten Jahren ein neues Werk bauen und eine Plattform entwickeln soll, auf der dann ein Pick-up und ein entsprechender Offroader entstehen sollen.

Wenn er damit Erfolg haben will, dann muss er es nicht nur tausenden Farmen und Firmenchefs recht machen, sondern vor allem Menschen wie Shaun und seine Pfadfinder-Freunde überzeugen, die das Ganze – nun ja – eher skeptisch sehen. Dass ausgerechnet eine deutsche Firma so ein ur-amerikanisches Auto bauen will, das lassen sie vielleicht sogar noch durchgehen. „Solange die auf unsere Wünsche und Vorlieben eingehen, kann das schon klappen“, sagt Shaun. Doch die Sache mit dem Elektroantrieb will vielen so gar nicht in den Sinn. „Klar, als Cruiser hier auf der Küstenstrasse würde ich ihn auch mit Akkus nehmen“, gibt sich der Clubchef zukunftsoffen. Schliesslich fährt seine Frau schon einen elektrischen Fiat 500. „Doch wie soll ich damit ins Gelände kommen? Und vor allem wieder heim“, fragt ein anderer, dessen Scout auf grossen Ballonreifen zwei Meter über der Erde schwebt und nur so vor Matsch und Staub starrt. „In der Wüste gibt es nun mal selten eine Ladesäule.“

Ob und wie der neue Scout wird, das wissen sie natürlich nicht. Schliesslich soll das Auto erst in zwei, drei Jahren vorgestellt werden. Aber erstens haben sie hier ja alle ein Original und müssen sich um einen Neuwagen nur wenig Gedanken machen. Und zweitens hat sich für die das Wolfsburger Engagement schon ausgezahlt, sagt Dana. „Denn seit VW über den Wagen spricht, habe die Preise bereits angezogen.“ Und diesmal hat er anders als damals beim Bronco überhaupt nichts dagegen.

Norilsk. Die Nickelindustrie hat die Grossstadt immer noch fest in der Hand. Verschmutzung und ein Flair wie aus Sowjetzeiten sind die bleibenden Eindrücke.
Text & Fotos: Bessinger spx

Ähnliche Artikel

Vox United – Wasser für Mozambique

Vox United – Wasser für Mozambique

Hoffnung in der Form eines mit sauberem Wasser gefüllten Glases – ist das nicht krass? Wir haben Wasser im Überfluss, heiss und kalt, wann immer wir es brauchen. Es ist einfach ein krasser Unterschied zwischen dem, was wir zuhause erleben und dem, was die Menschen hier haben.