Wenn Julia Simon eine Reise plant, wird es abenteuerlich. Das weiss ihr Mann René aus Erfahrung. Ein dreimonatiger Roadtrip durch Argentinien und Chile soll es diesmal sein. Mit Pickup und Dachzelt reisen die beiden bis zur südlichsten Stadt Südamerikas. Die einzigartige Schönheit Argentiniens raubt ihnen den Atem.
Schon mal mit einem in Chile gemieteten Pickup nach Argentinien eingereist? Wir auch nicht. Und deshalb wissen wir nicht, was wir von der anstehenden Premiere erwarten können. Der erste Reiseabschnitt soll uns von Santiago de Chile bis ganz in den Süden nach Ushuaia in Argentinien führen. Immer wieder werden wir dabei die argentinisch-chilenische Grenze überqueren müssen. Heute können wir schon mal üben.
Da Unwissenheit nicht vor Warteschlangen schützt, stehen wir knapp eine Stunde in einer Blechkarawane, bevor wir uns für eine weitere Stunde in eine Menschenschlange einreihen müssen.
So ist es nun mal, wenn man sich für den ersten Grenzübertritt einen vermeintlich strukturstarken Übergang aussucht, der auch von Touristenbussen genutzt wird. Die Warteschlange ist grösstenteils im Freien, die Sonne brennt, und die Sonnencreme liegt im Auto. Ein weiteres Problem ist, dass wir fast kein Spanisch sprechen. Keiner kann Englisch. Auch beim Blick auf die Hinweisschilder verstehen wir nur Bahnhof. Julias Spanisch ist «basic», und bei mir reicht es, um freundlich ein Bier zu bestellen. Leider wenig hilfreich.
Nach drei verschiedenen Schaltern, Stempeln, Unterschriften auf den Mietwagen-Ausreisedokumenten und viel Sprachinkompetenz haben wir es nach zwei Stunden endlich geschafft. Naja, nicht so ganz, denn der Stempel im Pass verrät, dass dies lediglich die Ausreise aus Chile war. Unsere Frage, wo denn die Einreise nach Argentinien erfolgt, wird vom Grenzbeamten mit einem wortlosen Fingerzeig auf die Strasse hinter dem Schlagbaum beantwortet. Nach 45 Minuten Fahrt im Niemandsland erreichen wir die argentinische Grenze. Ein weiteres Mal Auto- und Menschenschlange, ein weiteres Mal viel Ahnungslosigkeit unsererseits, aber wir kriegen die nötigen Stempel und Unterschriften. Jetzt haben wir Argentinien endlich erreicht. Auch eine Art, fast fünf Stunden des Tages zu verbringen. Die Landschaft hier in der Grenzregion lässt jedoch vermuten, dass sich dieser Aufwand mehr als gelohnt hat.
Wildcamping. Für diese Reise haben wir einen Pickup mit ausklappbarem Dachzelt gemietet, eine Allradwohnung quasi. Es gibt für uns keinen grösseren Luxus als zeitlich und örtlich flexibel zu sein. Unsere Reiseplanung ist sehr grob. Wohin wir jeden Morgen aufbrechen, entscheidet sich meist am Abend vorher. Für uns die perfekte Art, ein Land zu erleben und ein Gefühl absoluter Freiheit zu erfahren.

Abseits. Einfach bei der nächsten Seitenstrasse abbiegen, und schon findet sich ein einsames Übernachtungsplätzchen mitten im Nirgendwo.
Ein Allradfahrzeug mit guter Federung ist hier durchaus angebracht. Ich möchte die argentinischen Strassen mal vorsichtig als «unberührt von jeglicher Norm» beschreiben. Ein mit Achsbruch am Strassenrand verendetes Auto unterstreicht den gewonnenen Eindruck. Grober Schotter, Schlaglöcher, in denen ein Smart verschwinden könnte, und Staub, der jeden Zentimeter von Fahrzeug und Insassen bedeckt.
Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, aber dieser hartnäckige Staub findet den Weg zu Körperstellen, die aus meiner Sicht erst dann Staub ansetzen, wenn jeglicher Gedanke an menschliche Reproduktion oder den dafür vorgesehen Akt erloschen ist.
Mit so einem Fahrzeug erreichen wir Übernachtungsplätze, die man mit einem normalen Auto sicher nicht erreichen würde. Während Wildcamping in vielen Ländern entweder verboten oder nicht ratsam ist, ist es in Argentinien ein absolutes Muss. Im Süden des Landes, ganz in der Nähe der Cueva de los Manos in der Provinz Santa Cruz, biegen wir von der Ruta Nacional 40 auf eine kleine Staubstrasse ab und erreichen nach kurzer Zeit ein beeindruckendes Fleckchen Erde. Um uns herum erheben sich rote Felsen aus dem sandigen, mit stacheligen Grasbüscheln bewachsenen Boden. Mit dem Lauf der Sonne verwandeln sich die Farben um uns herum – von Hellrot in Dunkelbraun, von leuchtendem Gelb in Hellgrau. Julia und ich stehen schweigend nebeneinander und staunen. Die Stille um uns herum ist ungewohnt und ebenso beängstigend wie faszinierend.

On the road. Nicht immer sind die Strassen so gepflegt wie hier. Aber immer hat man dafür eine grandiose Aussicht.

Schattenspiel. Kurz vor Sonnenuntergang zeichnen sich lange Schatten auf rote Felsen. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen.

Spitzentag. Die Gipfel des Cerro Fitz Roy zeigen sich nicht immer. Das wolkenlose Panorama ist eine verdiente Belohnung für die anstrengende Wanderung.

Mauer aus Eis. Das Blau des Eises schimmert je nach Sonneneinstrahlung in den unterschiedlichsten Tönen. Die Ausmasse des Perito-Moreno-Gletschers sind gewaltig.


Segel setzen. Auf dem Beagle-Kanal vor Ushuaia weht ein kalter Wind, dafür ist man noch näher an der Antarktis.

Plattfuss. Es schadet nicht, beim Reifenwechsel ein paar helfende Hände (oder Pfoten) zur Seite zu haben.

Höhenluft. Über den Sico-Pass geht es von Argentinien nach Chile. Auf über 4000 Metern Höhe gibt es Lagunen und dünne Luft.

Auftauen. Das Autorenpaar wärmt sich mit einer heissen Tasse Tee auf – am Ende der Welt herrscht raues Klima.
René Simon ist 37 Jahre alt und mit Julia (33) verheiratet. Vor 3 Jahren kam Tochter Lea zur Welt. Mehrmonatige Reisen standen seitdem nicht mehr auf dem Programm, was aber vielmehr mit neuen beruflichen Herausforderungen zu tun hat als mit dem Nachwuchs. Denn wenn es nach Lea geht, dann dürfte ein Reiseabenteuer gerne das nächste jagen – und es müssen ja nicht immer gleich mehrere Monate sein… hier kannst du ihnen auf Instagram folgen: renesimon_onthemove