Der neue Defender – spektakulär unspektakulär

 

Neu ist nicht immer gleich besser. Beim Land Rover Defender schon. Auch wenn Puristen die Nase rümpfen – der Unterschied zum alten Defender ist etwa derselbe wie zwischen Smartphone und Morsezeichen. 

Keine Angst, liebe Ur-Defender-Fans: Niemand wird euch hier den Kult-Status eures Nieten beschlagenen Kastenrahmenwagen streitig machen. Der Land Rover Defender schlägt lediglich ein neues Kapitel auf. Titel des Kapitels ist: Alles ist anders, bis auf die Kernwerte und ein paar neu interpretierte Retro-Details. Dazu gehört das Reserverad am Heck, die kleinen Dachfenster und die Form. Allerdings würde man eher denken, es handle sich um die nächste Generation des Discovery. Er ist viel voluminöser als der Ur-Defender, sowohl in der Länge wie in der Breite, was auf schmalen Waldpfaden ein echter Nachteil ist. 

Schon auf den ersten Meter fällt auf: Der neue Defender lässt sich auf der Strasse bewegen wie ein normales Auto. Es ist innen ruhig wie in einer Kirche: kein Rumpeln, kein Klappern, kein Scheppern, einfach nichts. Das Fahrwerk federt leicht jede Bodenwelle aus und wirft einen nicht gleich aus der Spur wie ein Würfel in der Chügelibahn. Neu ist auch: Der Fahrer sitzt ergonomisch hinterm Steuer und nicht mehr wie ein an die Tür gedrückter Kaugummi. Das riesige Raumgefühl hat also auch seine Vorteile, zumindest Onroad. 

Wären da nicht die vielen Haltegriff-Möglichkeiten, die mehr Abenteuer versprechen als eine Fahrt auf einem Roller Coaster, würde man denken, man sässe in einem normalen Kombi. Auch auf der Autobahn klebt man trotz Vollgas nicht mehr auf der rechten Spur fest wie ein Sonntagsfahrer, sondern überholt mühelos wie in einem Range Rover. Das ist kein Zufall: Der 400 PS starke Ingenium-Hybrid-Motor (im Testfahrzeug) stammt auch vom grossen Bruder und ist beeindruckend gutmütig – inklusive tollem Sound, wenn man im “Sport”-Modus auf die Tube drückt. Wer “Sport”-Modus in Zusammenhang mit einem Defender für Unvereinbar hält: Keine Angst, die Einsteigermodelle haben das nicht. Beim Antrieb haben Kunden die Wahl zwischen einem 2,0-Liter-Vierzylinder-Diesel mit wahlweise 147 kW/200 PS oder 177 kW/240 PS sowie zwei Benzinern. Der kleinere schöpft seine Kraft aus vier Zylindern und zwei Litern Hubraum 221 kW/300 PS, der grössere aus sechs Zylindern und drei Litern 294 kW/400 PS. Eine Achtgangautomatik ist Standard.

Gemeinsam mit den Beast Drivers of Switzerland wagten wir einen ersten zaghaften Offroadtest mit dem neuen Defender – wir wollen die schicken und nagelneuen Testwagen ja nicht gleich kaputt machen … und ja, schon klar, der neue Defender kann viel mehr als hier fotografiert ;)

Die Beast Drivers of Switzerland sind ein Gentlemen-Offroad-Club aus dem Appenzell. Hier erfährst du mehr über die Zigarren zum Frühstück rauchenden und Defender fahrenden Jungs und ihre Events: https://beastdrivers.ch

Natürlich schieben die 2,418 Tonnen des Testfahrzeugs (P400 V6, 7-Sitzer) schon in jeder Kurve, aber das Voll-Aluminium-Monocoque auf der neu entwickelten D7x-Plattform halten zusammen Vertikalkräften von bis zu sieben Tonnen stand. Auf engen Bergpässen wirkt der grosse Motor zu kopflastig mit der Tendenz zum Untersteuern.  

Der Land Rover Defender ist jedoch in erster Linie ein Offroader. Und was für einer: 500 Millimeter beträgt die maximale Verschränkung, die Böschungswinkel liegen bei 38 und 40 Grad. Lässt man den Defender per Knopfdruck in den Offroad-Modus steigen, fährt man wie auf Stelzen. Das ermöglicht eine Watttiefe von 900 Millimeter und die Autowäsche direkt im Fluss. Verschiedene Offroad-Modi, eine Bergabfahrhilfe, ein 360-Grad-Kamerasystem, das unter das Fahrzeug blicken kann sowie auf die Seitenflanken und viele andere innovative Features mehr machen Offroad-Fahren selbst für Anfänger zum Kinderspiel. Statt manuelles Riegeln, regelt moderne Elektronik die Zusammenarbeit vom zweistufigen Verteilergetriebe, dem sperrbaren Mittendifferenzial, dem Luftfahrwerk (maximal 291 Millimeter Bodenfreiheit) und dem optionalen aktivem Sperrdifferenzial hinten.

Im Cockpit zieht das modernste Infotainmentsystem des Konzerns ein, inklusive neuer Konnektivitäts-Funktionen, die Over-the-air-Updates enthält. Das hat natürlich nichts mehr mit dem Ur-Defender zu tun, dessen Elektronik sich auf das Minimum reduzierte. Aber warum sollte ausgerechnet der neue Defender die Cleverness und den Innovationsgeist der Land Rover Ingenieure ignorieren? 

Fazit: Der neue Defender kann alles, was der alte auch konnte und vermutlich noch viel mehr. Aber der Spass am Offroadfahren ist mit all den elektronischen Helferlein vorbei. Das kann mitunter gefährlich sein, wenn ein Unerfahrener ins Gelände geht und nicht bemerkt, wann es kritisch wird, weil die Elektronik bis dahin alles ausgebügelt hat. 

Das grösste Fragezeichen setzen wir jedoch hinter den bis anhin fast unbegrenzten Ausbau-Möglichkeiten des Ur-Defenders. Aufgrund der sich verjüngenden Form ist kaum Platz für einen richtigen Ausbau. Auch das im Fahrzeug schlafen ist zumindest beim Testfahrzeug nicht zu empfehlen, da sich die Rücksitze nicht bodeneben versenken lassen. 

Auch wenn der neue Land Rover Defender noch ein bisschen Zeit braucht, um die Herzen der Fans zu erobern, wird in spätestens 70 Jahren auch dieser Defender Kult sein.