Elektro-Strategie von Volkswagen

 

 

Nicht wenige Branchen-Experten werfen Volkswagen vor, keine Trends zu setzen, mit Modellentscheidungen zu lange zu warten und neue Segmente nicht rechtzeitig zu besetzen. Festgemacht werden solche Strategiefehler gerne an zwei Beispielen: Touran und Tiguan. Sowohl der Familien-Van als auch der Kompakt-SUV kamen deutlich später als die entsprechenden Modelle der Mitbewerber. Man kann nicht behaupten, dass sich dies auf Umsatz und Gewinn negativ ausgewirkt hätte. Im Gegenteil, beide VW-Modelle verkaufen sich blendend und sind Segmentführer.

Ähnliche Kritik hört man derzeit, wenn es um das Thema Elektromobilität geht. Volkswagen liesse sich erneut zu viel Zeit, komplett neue E-Autos zu entwickeln und behelfe sich stattdessen mit Umbauten von Up und Golf. Die Konkurrenz ist da weiter: BMW hat seit mehr als drei Jahren sein Hightech-Karbon-Modell i3 im Portfolio und mit dem i8 sogar einen Elektro-Sportwagen als Aushängeschild. Smart bietet seine Modelle alternativ mit Elektromotor an. Renaults City-Stromer Zoe hat sich in Deutschland zum Klassenprimus unter den E-Autos gemausert. Und Nissan gebührt der Titel „Weltgrösster Hersteller von Elektrofahrzeugen“, bedingt durch den guten Absatz des Modells Leaf. Im kommenden Jahr werden die Japaner bereits die zweite Generation des Leaf auf den Markt bringen. BMW kündigt für Ende 2017 ein Facelift des i3 an. Tesla will mit dem Model 3 kommen. Und Opel stiehlt VW gerade mit dem Ampera-e die Show. Der Kleinwagen setzt mit 500 Kilometern einen neuen Massstab bei der Reichweite, auch wenn er in Deutschland praktisch gar nicht zu kaufen ist.

Der Volkswagen Konzern plant, mehr als ein dutzend Elektroautos auf die MEB-Architektur zu stellen und so die hohen Kosten in den Griff zu bekommen. Startschuss für das erste Serienmodell ist 2020.

All dies sieht und weiss man natürlich auch in der Zentrale in Wolfsburg – doch von Nervosität keine Spur. Denn niemand vermag zurzeit zu prognostizieren, wann es wirklich richtig losgeht mit dem leisen und emissionsfreien Autofahren, wann die Verkäufe nennenswerte Stückzahlen erreichen werden. Zudem müssen die Preise sinken, die Batteriekapazitäten steigen und die Ladeinfrastruktur verbessert werden.

Derzeit ist der Volkswagen-Konzern dabei, die Weichen zu stellen, den Elektroantrieb auf die passenden Architekturen zu stellen und diese mit den verschiedenen Marken unter einen Hut zu bringen. Das wichtigste Kürzel hierzu heisst MEB (Modularer Elektrifizierungsbaukasten). Doch so einfach wie eine Lego-Platte lassen sich die Bausteine Batterie, E-Motor, Ladetechnik und Leistungselektronik nicht zusammensetzen. „Innerhalb der Marken will jeder seine Wünsche berücksichtigt wissen“, sagt ein damit vertrauter Entwickler, „es gibt allein über 200 wichtige und knapp 400 weitere Masse, die festgelegt werden müssen.“ Das reicht von der Spurweite bis zum Verstellwinkel der Lenksäule. Zudem muss der MEB global ausgelegt und die Produktion in sämtlichen Werken, in denen die E-Modelle vom Band laufen, darauf abgestimmt werden.

Volkswagen: aus dem Windschatten zum Weltmarktführer

Die drei Elektro-Studien, die Volkswagen unter seiner neuen Submarke I.D. in Paris, Detroit und Genf gezeigt hat, basieren lediglich auf einem Prototypen-MEB, sind noch handgefertigte Einzelstücke. Das gilt auch für das erste E-Auto von Skoda, die Konzeptstudie Vision E, die ihre Premiere vor wenigen Wochen in Shanghai hatte. Seat wird vermutlich eine MEB-Studie auf der IAA in Frankfurt präsentieren. Und auch Audi wird nicht lange auf sich warten lassen, das Konzept eines Kompakt-EV zu zeigen, das nach dem e-tron (2018) und dem e-tron Sportback (2019) in Serie gehen soll.

Wenn es 2020 mit den I.D.-Serienmodellen losgeht – dies zumindest sieht der Strategieplan von Volkswagen vor, soll der skalierbare MEB dem Kunden die Möglichkeit geben, unterschiedlich grosse Batterien zu wählen, je nach persönlichem Fahrprofil und Geldbeutel. Anders wären die Ankündigungen, den Preis auf dem „Niveau eines gut ausgestatteten Golf TDI“ starten zu lassen, nicht zu halten. Für rund 30’000 Franken kann es selbst in drei Jahren kein Elektroauto mit einer 83-kWh-Batterie geben, wie sie in der Studie I.D. Crozz verbaut war und die eine Reichweite von über 500 Kilometern ermöglicht. Die Basis sieht 40 bis 50 kWh, die zweite Stufe 60 bis 70 kWh Kapazität vor. Die Spannung liegt einheitlich bei jeweils 400 Volt.

Christian Senger, Leiter der E-Baureihe, will die Anlaufkosten über Stückzahlen und Skalierbarkeit in den Griff bekommen. Bis 2025 sollen auf dem MEB über ein dutzend Modelle entstehend. Allein I.D. plant fünf unterschiedliche Karosserievarianten, darunter eine Limousine, ein Crossover, ein SUV, ein Coupé und ein Van im Touran-Format. Hinzu kommen Modelle von Audi, Skoda und Seat. Die Grundarchitektur ist stets die gleiche. Sie sieht als Basis Hinterradantrieb vor. Crossover und SUV erhalten zusätzlich einen Elektromotor an der Vorderachse.

VW will die hohen E-Auto-Kosten in den Griff bekommen

Die Hände reiben sich bereits die Designer, können sie doch nicht nur äusserlich die Proportionen eines elektrisch angetriebenen Autos massiv verändern, sondern auch im Innenraum kräftig „aufräumen“, weil Verbrennungsmotor, Getriebe und Tank fehlen. Schon die erste I.D.-Studie zeigte, was auf einer Aussenlänge von 4,15 Metern (kürzer als ein Golf) möglich ist. Das Raumgefühl entspricht jenem in einem Passat. Designchef Klaus Bischoff nennt das neue Konzept „open space“. Ersten Journalisten, die den I.D. bereits fuhren, verriet Volkswagen, dass die Serienversion in Grösse und Aussehen der Studie recht nahe kommt. Nur die Schmetterlingstüren sind ein Show-Effekt.

Die Fertigung der ersten I.D.-Fahrzeuge könnte in der Gläsernen Fabrik in Dresden, in der VW derzeit den e-Golf (ihn wird es in der nächsten Generation nicht mehr geben) produziert. Später könnte die Manufaktur zu einem Zentrum der Elektromobilität ausgebaut werden. Zudem will sich VW mittelfristig nicht von asiatischen Lieferanten für Batteriezellen abhängig machen. „Wir werden ein neues Kompetenzfeld erschliessen“, kündigt Vorstand Matthias Müller an. Die Herstellung der chemischen Zellen wird vermutlich in Salzgitter erfolgen. „Spätestens 2025 wollen wir Weltmarktführer bei der E-Mobilität sein“, sagt VW-Markenchef Herbert Diess. Rund eine Million Elektroautos jährlich sollen bis zu 25 Prozent vom dann erzielten Absatz sichern.