Fahren im Winter: Allradantrieb hilft, aber nicht immer

 

Zwei zusätzlich angetriebene Räder versprechen im Winter mehr Sicherheit. Tatsächlich liefern allradgetriebene Fahrzeuge mehr Traktion und damit die Chance besser anzufahren. Immer hilft der Allradantrieb leider nicht.

Allradantriebe sind längst alltagstauglich geworden. War die Technik früher noch eine Domäne von Geländewagen, leiten heute immer mehr herkömmliche Personenwagen die Kraft an alle vier Räder. Doch wo genau liegt der 4×4-Nutzen auf herkömmlichen Strassen abseits schwierigen Geländes mit Matsch und Geröll? Kann der zumeist mit Aufpreis erkaufte Allradantrieb in den Wintermonaten seine Stärken wirklich ausspielen?

Beim Anfahren besteht kein Zweifel: Alle modernen Allradsysteme, die in der Regel das Drehmoment im einem ausgeglichenen Verhältnis auf die Vorder- und Hinterachse verteilen, liefern ein Maximum an Traktion und verhindern das Durchdrehen der vorderen oder hinteren Antriebsräder. Dieser Effekt macht sich beim Anfahren am verschneiten oder vereisten Berg natürlich doppelt bezahlt. Immer vorausgesetzt der Fahrer hat einen Satz guter Winterreifen aufgezogen, der auch beim 4×4-Antrieb eine entscheidende Rolle spielt.

Bei der Kurvenfahrt sieht die Sache etwas komplizierter aus, endet allerdings ebenso mit einem Sieg für den 4×4-Antrieb über den herkömmlichen Antrieb, der zumeist über die Räder der Vorderachse geschieht. Die Kräfte der Schwerkraft sind nämlich auch im Winter nicht aufgehoben. Im Gegenteil, das Fahrzeug muss wegen mangelnder Traktion noch mehr gegen die Fliehkraft ansteuern. Ohne Allradantrieb neigt das Fahrzeug daher früher zum Unter- oder Übersteuern. Um die Seitenführungskräfte zu erhöhen, hilft hier nur: runter vom Gaspedal, Lenkung aufmachen und die Kupplung treten.

Anders sieht das beim 4×4-Antrieb aus. Mit einem Allradfahrzeug fährt man in einer schneebedeckten Kurve praktisch ohne Gegensteuern. Mittels ABS-Radsensoren registriert unser intelligenten Allradantrieb Schlupf an einem der frontangetriebenen Räder sofort und schaltet über eine elektromagnetische (Reib-)Lamellenkupplung im Bruchteil einer Sekunde die Hinterachse hinzu. Ein Ausbrechen des Fahrzeugs kann durch die dann hergestellte Verteilung des Drehmoments verlässlich verhindert werden.

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Vorausgesetzt man fährt aufgrund des guten Vortriebs durch den Allrad nicht zu schnell in die Kurve.

Teilnehmer von Fahrsicherheitstraining bekommen den Kammschen Kreis immer wieder vorgebetet. Die Kräftevektoren teilen sich beim Fahren auf in die Seitenführungskraft (Querrichtung) und Beschleunigungskraft (Längsrichtung). Das Kräfteparallelogramm zeigt, dass innerhalb des Kammschen Kreises nur eine bestimmte Kraft übertragen werden kann – diese wird vom Auto und der Fahrbahn beeinflusst. Sind diese Kräfte – entweder in Längs- oder Querrichtung – zu gross, verliert das Rad an Haftung (Haftreibung) und bringt den Wagen in einen instabilen Fahrzustand.

In diesem Fall greifen dann ESP oder fahrdynamische Assistenzsysteme ein. Wer ein Auto mit Allradantrieb bewegt, kann der Fahrdynamik zumindest beim Beschleunigen ein Schnippchen schlagen. Da die gesamte Motorleistung über vier statt über zwei Räder übertragen wird, sind die Kräfte an den einzelnen Rädern nur halb so gross und lassen sich entsprechend besser innerhalb des Kammschen Kreises in Vortrieb umsetzen.

Der Kammscher Kreis

Kammscher_Kreis

Endet der resultierende Pfeil aus Fliehkraft und Beschleunigung ausserhalb des Kreises, dann ist die Fliehkraft grösser als die Seitenführungskraft und das Fahrzeug bricht aus

Bei einem Vorgang sind allerdings alle Autos gleich: Beim Bremsen zählt die Fläche des Reifens mit Bodenkontakt, ganz egal wie viele Räder während der Fahrt angetrieben werden. Im Zweifelsfall hilft hier nur das beherzte Treten auf die Bremse.

Ob mit oder ohne Allrad: Umsichtiges Fahren bei winterlichen Strassenverhältnissen ist unerlässlich und gute Winterreifen sind ein Muss. Wenn es hart auf hart kommt, sollte auch der 4×4-für alle Fälle Schneeketten an Bord haben. Allrad allein ist kein Freifahrtschein auf Eis und Schnee, jedoch eine grosse Hilfe gerade beim Anfahren und in glatten Kurven.