Die Fahrer sind ihren Autos immer weniger gewachsen – im Wortsinn. Eine neue Studie der Allianz-Versicherung belegt, dass stark gewachsene Ausmasse und miserable Rundumsicht Hauptursachen der häufigsten Unfälle sind. Und eines der meistverkauften Assistenzsysteme nützt dagegen wenig.
München. Es geht im Schritttempo zu. Der Fahrer verdreht sich schräg nach hinten. Um ihn herum wuselt der Einkaufsverkehr. Es piept von links und rechts und hinten, hinten quengeln die Kinder … rumms. Mehr als tausend Mal kracht es in einer solchen Situation jeden Tag irgendwo in Deutschland. Rund 2’000 Euro Schaden sind die Regel.
„Optische oder akustische Warnungen kommen meistens zu spät“, stellt Wolfgang Fey bei der Analyse solcher Park- und Rangierunfälle fest. Der Experte für Assistenzsysteme beim Zulieferer Continental hat zusammen mit der Allianz diese häufigste Unfallart im Land analysiert. Und die Ergebnisse sind für die Hersteller wenig schmeichelhaft. Eine der meistverkauften Ausstattungen nämlich erweist sich demnach als „wenig hilfreich“: der Parkpiepser. Autos, die mit solchen Sensoren ausgerüstet sind, bauen sogar noch mehr Rangier-Unfälle als die Fahrzeuge, bei denen der Lenker sich allein auf das eigene Augenmass und seine Aufmerksamkeit verlassen muss.
Wer sich auf die Technik verlässt, ist verlassen
Technisch aufgerüstete Autofahrer sind dagegen laut Fey schlicht so überfordert, dass sie den piepsenden Dauerton als letzte Warnung überhören – oder nicht schnell genug gegensteuern. Und das hat vor allem einen Grund, so die Studie: Die Autos sind in den letzten Jahrzehnten ihren Besitzern über den Kopf gewachsen. Sie passen nicht mehr in die Verhältnisse, in denen sie bewegt werden.
Allianz-Experte Johann Gwehenberger hat das grosse Krachen seit Jahren studiert – und kennt die Hauptursache: „Die Rundumsicht ist zunehmend eingeschränkt – vor allem nach hinten. Und die Autos sind gewaltig grösser geworden.“ Die Parkflächen haben sich dagegen kaum vergrössert. Zudem nimmt der Verkehr in den Städten weiter zu. Und dort leben auch immer mehr Menschen und kurven mit immer dickeren Autos auf immer weniger Raum herum.
Unsere Autos sind in den letzten Jahren gross geworden
Dafür ist die Industrie prägend mitverantwortlich. Die Studie gibt zwei Beispiele: Hatte der erste Renault Espace 1984 noch eine Länge von 4,37 Meter und eine Breite von 1,77 Meter, so sind es jetzt 4,86 und 1,89 Meter. Und der Golf ist in dieser Zeit von 3,34 Meter Länge und 1,63 Meter Breite auf 4,25 Meter Länge und 1,80 Meter Breite gewachsen. Eine durchschnittliche Parkbucht mit 2,30 Meter mal fünf Meter ist damit auch schon gut gefüllt. Zum Rangieren bleibt nicht mehr viel Raum.
Hinzu kommen erschwerend zwei weitere Trends, so Studienleiter Gwehenberger: Ein Design, das nach hinten hin die Fenster zu Schlitzen verengt. Und die Mode zu hochbauenden Grossfahrzeugen wie SUV und Vans. Die Schlachtschiffe der Strasse haben denn auch 30 Prozent häufiger Park- und Rangierunfälle als Klein- und Kompaktwagen – und das, obwohl gerade diese Fahrzeuge häufiger Warnsysteme an Bord haben.
Dennoch kracht es ungebremst weiter – vor allem beim Rückwärts-Ausparken und -Rangieren. „Dabei passieren etwa 80 Prozent dieser Unfälle“, so Gwehenberger. Gerade Senioren sind die Leidtragenden bei den jährlich rund 500’000 derartigen Unfällen. Fahrer ab 65 Jahren verursachen ein Drittel mehr solcher Schäden als die 25- bis 64jährigen. Und wenn ein Mensch beim Rückwärts-Rangieren verletzt wird, dann ist es auch besonders häufig ein Senior. Zwei Drittel der geschädigten Fussgänger sind Ältere.
Das überrascht die Experten nicht. Denn die unübersichtlichen Ungetüme mit häufig verdunkelten Scheiben machen es gerade weniger reaktionsschnellen älteren Verkehrsteilnehmern schwer, untereinander Blickkontakt aufzunehmen. Zudem haben die Senioren am Steuer noch häufiger Probleme, ihre zerklüfteten Fahrzeuge zu überblicken – und verlassen sich fatalerweise darauf, dass die Assistenzsysteme schon Alarm geben werden, bevor es rumst.
Besser parkiern und rangieren
Das Allianz Zentrum für Technik empfiehlt auf Basis seiner Unfall-Analysen diese Vorsichtsmassnahmen:
- Gesamtes Umfeld beobachten und im Blick behalten
- Nicht drängeln lassen
- Mit der Fahrzeuggeometrie und den -abmessungen gut vertraut machen
- Nicht „blindlings“ auf warnende Systeme verlassen
- Mit der Funktionsweise und den Grenzen des jeweiligen Parkassistenzsystems gut vertraut machen:
- Ab welchem Abstand zum Objekt erfolgen akustische und optische Warnungen?
- Werden niedrige Hindernisse erfasst (z.B. Begrenzungssteine, hohe Bordsteine, Poller)?
- Was ist mit dem jeweiligen Kamerasystem sichtbar (Rückfahr-, Surround-View Kameras), was nicht (Fahrzeugecken)?
Conti und die anderen grossen Entwickler von Sicherheitssystemen setzen darum auf aktiv eingreifende Techik. „Erst intelligentere Assistenzsysteme mit automatischem Bremsen werden diese Schäden wohl massgeblich eindämmen“, sagt Conti-Mann Fey. Und auch Allianz-Mann Gwehenberger ist sich sicher. „Automatisches Lenken und Bremsen wird in den kommenden Jahren immer mehr Autokäufer überzeugen.“ Spätestens, wenn’s mal wieder gekracht hat.