Fahren wir in Zukunft alle SUV?
Volvo Concept XC Coupé

 

Die PW-Form SUV boomt in einem in der Geschichte des Autos noch nie dagewesenen Ausmass. Wo führt das hin? Eine Spurensuche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Woran merkt man, dass das SUV in den Köpfen der Menschen als DIE gängige Autoform angekommen ist: An den Zulassungszahlen? An den neuen Modellen, die fortwährend auf den Markt rollen? An der sich mühsamer gestaltenden Parkplatzsuche, weil Fahrer von grossen SUV viel Parkraum beanspruchen müssen? Auch. Aber ebenso daran, dass ein vierjähriger Bub fragt: „Warum fährst Du so ein komisches Auto?“ „Komisch?“ „Das ist so flach.“ Dann fährt die Mama vom Bub also SUV, man selbst „nur“ Kombi.

Renault Kadjar, der grosse Bruder des Renault Captur

Renault Kadjar

Der SUV-Boom hält an

Die SUVsierung der Modellpaletten hat in den vergangenen Jahren mächtig Fahrt aufgenommen. Von Mini-SUV (Nissan Juke, Opel Mokka, Peugeot 2008) über das Kompaktsegment (Audi Q3, VW Tiguan, Ford Kuga) bis zur Oberklasse (BMW X5, Volvo XC90, Mercedes M-Klasse) haben so gut wie alle Hersteller mehrere SUV im Modellprogramm, meist parallel zu klassisch-flachen Modellen ähnlicher Grösse.

Aber woher kommt die plötzliche Vorliebe für hochbauende Karosserien, die sich der Aerodynamik trotzend breit in den Fahrtwind stellen, sich meist schwerfälliger und im Stadtverkehr unübersichtlicher bewegen lassen? Hatten sich doch die Autohersteller seit Ende der 50er Jahre bemüht, flachere, niedrigere Modelle zu entwickeln. „Die Autos sollten in den 1960ern nicht nur schneller und progressiver, sondern auch eleganter aussehen als das ‚Kartoffeldesign‘ der 1940er“, sagt der Kölner Design-Professor Paolo Tumminelli. „Wenn wir so wollen, kehren wir jetzt den Trend und kommen zum ‚Kartoffeldesign‘ zurück.“

Toyota RAV4

Der Toyota RAV4 gilt als Gründer des SUV-Segments, hier in seiner ersten Generation (1997-2000)

Etwa seit den 90er-Jahren hat das Segment der „Sports Utility Vehicle“ zunächst in den USA Fahrt aufgenommen, als Begründer gilt der Toyota RAV4. Der Trend zu hochgelegten Karosserien schwappte dann auch nach Europa. Wichtiger als Fähigkeiten im Gelände – viele Modelle bieten Allrad-Antrieb nur gegen Aufpreis – sind ein robuster Auftritt mit ausgestellten Radhäusern, steiler Front und Offroad-Beplankung sowie der typische erhöhte Einstieg.

Opel Mokka

Opel Mokka

„SUV sind vor allem beliebt, weil sie die Geländewagenanmutung das Bedürfnis vieler Menschen nach hoher Sicherheit und kokonartiger Geborgenheit optisch sehr gut repräsentieren“, meint Stefan Bratzel, Professor an der FH Bergisch-Gladbach und Direktor des Center of Automotive Management. Dem Trend in die Karten spielt der seit einigen Monaten fallende Kraftstoffpreis. „Die niedrigen Spritpreise sind nicht die Ursache, aber ein weiterer Treiber des SUV-Wachstums“, so Bratzel.

Das SUV als eine vom Marketing getriebene Idee?

Das meint auch Designer Tumminelli. In der Vergangenheit hätten Ingenieure für die Überlegenheit des Automobils in Bezug auf Leistung gekämpft, für Geschwindigkeit (1960er), Fahrdynamik (70er), Effizienz (80er). Seit den 90ern spielten vor allem Marketing-Faktoren eine Rolle: „Die pseudosportliche Form lockt eine rapide alternde, vor allem westliche Kundschaft, die nicht mehr fit für den 911er ist“, glaubt Tumminelli. „Dass die Dynamik nur künstlich ist, stört niemanden: Schliesslich sind bei der anvisierten Zielgruppe Haaren, Ohren, Hüften, Herz – und Gott weiss was sonst noch – bereits jetzt künstlich.“

Dacia Duster 2014

Dacia Duster

Längst haben die Autohersteller natürlich sowohl alle Altersgruppen als auch alle Käuferschichten für das Segment entdeckt. Vom Einstieg für rund 15’700 Franken mit dem Billig-SUV Dacia Duster bis zu den für dieses Jahr angekündigten Modellen der Luxus-Hersteller Bentley (Bentayga) und Maserati (Levante). Dass selbst die Traditionsmarke Rolls-Royce, die nicht im Verdacht steht, auf kurzfristige Modeerscheinungen zu reagieren, ein hochgebocktes Modell angekündigt hat, zeigt, wie ernst die Hersteller den Trend nehmen. Das kann man auch an anderer Stelle ablesen: So stockt beispielsweise Mercedes die Kapazitäten im amerikanischen Tuscaloosa-Werk auf. Aufgrund der anhaltend starken Nachfrage nach SUV benötige man alle verfügbaren Produktionskapazitäten für dieses Segment, heisst es in einer Mitteilung. Mehr als 300’000 Einheiten (M-Klasse, GL, GLE sowie C-Klasse) sollen hier 2015 vom Band rollen. Porsche, eigentlich ein Synonym für Sportwagen, produziert inzwischen mehr SUV als 911er oder andere Sportler.

Doch müssten die immer anspruchsvolleren Emissionsnormen rund um den Globus den Trend zu mehr Hochbeinern nicht automatisch stoppen? Grösse, Gewicht und die höher im Wind stehende Karosserie verlangen jedenfalls einen tieferen Griff in die Kiste der Spritspartricks, als die flacher geformten Limousinen, Coupés oder Kombis die bisher das Produktportfolio der Hersteller beherrschten.

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs wird deshalb zum Standard werden, glaubt man beim Automobilzulieferer Bosch: „Wenn Sie in zehn Jahren ein SUV kaufen, wird wohl in nahezu 100 Prozent der Fälle ein Hybridantrieb an Bord sein“, sagt Stefan Seiberth, Bereichsvorstand Gasoline Systems.

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs soll zum Standard werden, hier der Volvo XC90 als Plug-in-Hybrid

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs soll zum Standard werden, hier der Volvo XC90 als Plug-in-Hybrid

In der EU liegt die Flottengrenze ab 2021 bei 95 Gramm CO2/km, was einem Durchschnittsverbrauch von 4,1 Litern Benzin (3,6 Litern Diesel) auf 100 Kilometern entspricht. Ein Wert, den SUV üblicherweise verfehlen. Nach Angaben des Center of Automotive Management der FH Bergisch Gladbach lagen die CO2-Emissionen des Segments SUV im Dezember beispielsweise bei durchschnittlich 141,8 g CO2/km und damit deutlich über dem Durchschnitt anderer Segmente, wie der Oberen Mittelklasse (138,1 g/km). Mit dem Verkauf von kleinen, emissionsarmen Fahrzeugen können die Hersteller das zum Teil ausgleichen.

Porsche Cayenne Plug-in Hybrid

Porsche, eigentlich ein Synonym für Sportwagen, produziert inzwischen mehr SUV als 911er oder andere Sportler, hier der Cayenne als Plug-in-Hybrid

Für grosse und schwere SUV sieht Seiberth den Plug-in-Hybrid trotzdem als Mittel der Wahl, zumal die Batteriekosten deutlich sinken sollen: Bis 2020 auf den halben Preis bei doppelter Leistungsdichte. Verbrauchsversprechen aktueller SUV-Plug-ins wie Volvo XC90 (2,5 Liter bei 400 PS), BMW X5 (3,8 Liter bei 300 PS) und Porsche Cayenne (3,4 Liter bei 416 PS) klingen ebenso verführerisch wie phantastisch.

Fahren wir in Zukunft alle SUV?

Macht die Hybridisierung also den Weg frei für SUV für jedermann? Fahren wir in Zukunft alle SUV? „Ja, das Auto wird höher“, sagt Design-Professor Tumminelli, auch wenn das Wort SUV dann nicht mehr immer angebracht sei. Selbst Limousinen und Sportwagen seien schon höher geworden. Das Problem seien die Räder: „Grössere Räder  zwingen zu höheren/dickeren Autos.“

Andere Designs bleiben auf der Strecke – wer will sich schliesslich im engen Verkehr zwischen all den hochsitzenden Autofahrern herabgesetzt fühlen. Das erzeugt eine Art Gruppenzwang: „Ein klassisches Problem von ‚social proof‘: Wenn alles höher wird und alle mitmachen wollen, gewöhnt man sich schnell daran und vergisst, was früher schön war“, so Tumminelli. Was ‚früher‘ schön war? Davon erzählen wir dann in einem guten Dutzend Jahren – wenn der Bub seine Fahrprüfung macht.

Auch die Ordnungshüter rüsten auf. Das Highway Patrol Vehicle 2025

Angefangen haben sie mal mit ein paar Skizzen. Doch mittlerweile nimmt Mercedes die LA Design Challenge so ernst, dass die Schwaben für den Kreativwettbewerb der Los Angeles Auto Show diesmal sogar ein komplettes Fahrzeug aufgebaut haben. Und was für eines. Lesen Sie hier den ganzen Artikel.

Mercedes-Benz Ener-G-Force

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