Martin und Ursula haben gemacht, wovon so mancher träumt: 15 Monate mit dem eigenen Geländewagen die Welt bereist. In ihrem Buch „Verfahren – Bangladesch retour – eine Momentaufnahme“ erzählen sie vom grossen Abenteuer.
Verfahren kann man sich nur dann, wenn man weiss wohin man will. Oder muss. Und selbst dann ist das mit den modernen Navigationsgeräten fast nicht mehr möglich. Martin M. Novotny und Ursula K. Wunder wussten es nicht – und haben darüber ein Buch geschrieben. „Verfahren“ erzählt die Geschichte von zwei Globetrottern, die mit einem Toyota HJ61 von der Schweiz nach Bangladesch gefahren sind. Und zurück. Es ist bereits das zweite Buch der beiden Weltenbummler, das im Baeschlin Verlag erschienen ist. Wer noch auf der Suche nach einem Last-Minute-Weihnachtsgeschenk für reisebegeisterte Freunde – oder sich selbst – ist, findet auf der Website www.v-erfahren.ch das Passende. Sehr persönlich geschrieben gibt das Buch Einblicke in den Alltag des reisenden Paares. Doch aufgepasst! Reich bebildert weckt es Fernweh und lässt von unbekannten Zielen träumen. Doch warum nur Träumen? „Es gibt nur einen einzigen Schritt den man machen muss: Es tun!“
Wir haben uns mit Martin und Ursula unterhalten und wollten mehr erfahren.
4x4CH: Ihr habt eine grosse Reise hinter euch – eigentlich schon zwei – und darüber jeweils ein Buch geschrieben. „Verfahren“ ist der zweite Band und erzählt, reich bebildert, eindrücklich von euren Erlebnissen. Die Route liest sich, wie Geographieunterricht sich anhört: Von der Schweiz über Österreich, Ungarn, Ukraine, Moldavien, Bulgarien, Türkei, Iran, Pakistan, Indien und Bangladesch. Und das war nur der Hinweg. Afghanistan, Tadschikistan, Kirgisen, Usbekistan, Kasachstan, Russland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien und über Österreich zurück in die Schweiz. Im ganzen 65’000 km in 15 Monaten. Das braucht ganz schön Sitzfleisch! Was hat euch auf die Idee gebracht, diese Tour in Angriff zu nehmen? Was war eure Motivation?
Martin: Die Motivation war ganz einfach die Welt kennen zu lernen. Und zwar nicht so wie wir sie von den Medien in die Stube serviert bekommen, sondern mit den eigenen Sinnen. Ungefiltert sozusagen. Auf die Idee gebracht hat mich das eintönige Leben zu Hause. Jeden morgen aufstehen, Kaffee trinken, in die Arbeit, nach Hause kommen und vor den Fernseher hocken. Am Wochenende dann Schlange stehen beim Einkaufen. Das war nicht meine Vorstellung vom Leben.
Ursula: ich war schon immer ein „Reisefüdli” und da mir Martin so viel von Iran und Pakistan vorgeschwärmt hatte, war es klar, dass ich da unbedingt einmal hin wollte. Ausserdem liebe ich das Gefühl der Freiheit: Am Morgen nicht zu wissen, wo ich am Abend schlafe, heute nicht zu wissen, ob sich morgen nicht Weichen für mein zukünftiges Berufsleben, meinen Wohnort oder meine “Lebensaufgabe” stellen werden. Diese Unsicherheit ist elektrisierend und erinnert an Kind sein, wo alles ständig neu war.
4x4CH: Ich kann mir vorstellen, dass es einiges an Vorbereitung bedarf. Wie funktioniert das? Wie geht man vor wenn einem so ein Projekt im Kopf herumgeistert? Was sind die ersten – und welches die wichtigsten Schritte die man unternimmt, um den Traum Realität werden zu lassen?
Martin: Es gibt nur einen einzigen Schritt, den man machen muss: Es tun! Ich vergleiche das gerne mit einem Sprung vom zehn Meter Turm. Wenn man nicht abspringt, wird man den freien Fall nie erleben. Da nutzt das ganze Reden und darüber nachdenken nichts. Augen zu und ab. Genau so habe ich das bei meiner ersten Reise gemacht. Eines Tages habe ich Job und Wohnung gekündigt, obwohl ich noch gar nicht wusste, was ich tun werde. Einzig reisen wollte ich. Alles andere ergab sich zufällig und war wenig geplant. Bei der darauf folgenden Reise war es dann noch einfacher. Da wusste ich ja schon, wie toll sich ein Sprung aus zehn Metern Höhe anfühlt und was man dabei alles gewinnt.
Ursula: Ich hatte es da einfacher. All die Probleme von Wohnung, Hausrat, Auto etc. loswerden/unterbringen hatte ich vor unserer Afrikareise gar nicht. Ich war gerade mit dem Studium fertig und da war kein Ballast, der hätte “entsorgt” werden müssen. Ausserdem hatte ich ja einen alten Hasen an meiner Seite…
4x4CH: Habt ihr eure Route im Detail geplant? Es waren ja auch einige Krisenregionen darunter. Mit Empfehlungen wie “…möglichst schneller als 120 km/h zu fahren, da schnell bewegende Ziele schwerer zu treffen sind…” (Seite 207). Das sind Aussagen, denen man in unserem Kulturkreis wohl eher skeptisch gegenübersteht und sich fragt, was einen aus der sicheren Schweiz ausgerechnet dahin verschlägt. Warum diese Route?
Martin: Bei der letzten Reise, die du ansprichst, war gar nichts geplant. Wir wollten eigentlich nach Südafrika und Zentralasien hat uns auch interessiert. In Ungarn haben wir in der dritten Reisewoche ein italienisches Paar mit einem Unimog getroffen. Die kamen gerade aus der Ukraine zurück und erzählten, dass während der Sommerferien keine Visa benötigt würden, was 2005 noch nicht selbstverständlich war. Also fuhren wir in die Ukraine und wurden neugieriger auf Osteuropa. Der Rest der Reise ergab sich irgendwie aus klimatischen Bedingungen, Visabestimmungen und Tagesverfassung. Was du konkret ansprichst ist die Durchquerung von Afghanistan. Wir wollten bei der Rückreise aus Bangladesch unbedingt noch Zentralasien bereisen. Da gab es zwei Möglichkeiten: Entweder über ganz Pakistan und Iran zurück und via Turkmenistan nach Usbekistan, ein Umweg von mehr als 3000 km, oder direkt via Afghanistan. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht und uns für letztere Variante entschieden. Hier möchte ich aus unserem neuen Buch zitieren: „Es war eine rationale Abwägung zwischen Risiko und Erfahrungsgewinn“.
Ursula: Bei Martins allererster Reise ging er schon geplanter an die Sache heran, sprich Karten, Reiseführer und Visa der ersten besuchten Länder organisieren, als er nun sagt. Bei der zweiten Reise war das dann aber wirklich schon viel lockerer (wir sind mit der schwarz-weiss-Kopie unseres Atlanten Richtung Afrika aufgebrochen).
Afghanistan und ein Gebiet in Pakistan waren aus meiner Sicht die einzigen Abschnitte der Reise, wofür die gängige Meinung, dass alles östliche von Österreich gefährliches Territorium sei, gilt. Und für diese beiden Regionen haben wir auch einige Vorsichtsantennen mehr ausgefahren und waren nie leichtsinnig in unseren Entscheidungen. Bei all den Horormeldungen aus den Medien, die sicher zum Teil auch ihre Berechtigung haben, vergisst man leicht, dass das Bett statistisch gesehen der gefährlichste Ort ist, da dort am meisten Menschen sterben.
4x4CH: Die Visa sind in eurem Buch immer wieder ein Thema. Habt ihr Tipps für andere Globetrotter, wie man das am besten angeht?
Martin: Bei der ersten Reise habe ich Visa bis Indien besorgt, bei der letzten gar keines. Mein Tipp ist diesbezüglich so wenig wie möglich zu planen. Sonst verbaut man sich vielleicht ganz viel Tolles. Man sammelt ja während der Reise Erfahrungen und trifft Menschen, die einen umdenken lassen. Visa kann man am besten im Grenzland besorgen. Da gibt es manchmal neben Botschaften und Konsulaten in der Hauptstadt auch solche in Grenznähe, die oftmals unkomplizierter sind. In manchen Ländern bekommt man die Visa auch direkt an der Grenze. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es immer irgend einen Weg gibt, wenn die Zeit nicht drängt. Im schlimmsten Fall muss man seine Route ändern und einen anderen Weg oder sogar ein anders Ziel anpeilen. Das ist doch das Tolle am Reisen. Die Freiheit und die Ungewissheit, was am nächsten Tag passieren wird. Dafür reise ich!
Ursula: Genug Zeit!!! Ausdauer und Gelassenheit helfen ebenfalls.
4x4CH: Was unsere Leser natürlich sehr interessiert: Ihr wart mit einem schon etwas älteren Toyota unterwegs. Was genau hattet Ihr da für einen Wagen? Erzähl mal!
Martin: Das war ein Toyota Landcruiser HJ61 aus dem Jahre 1987, ein Turbodiesel also mit rund 100 kW und voll beladen mehr als 3.5 t. Ursula hatte einen fast baugleichen HJ60 von 1985, also ohne Turbo und auch ohne Ausrüstung. Sie wollte damit später einmal in die Mongolei fahren. Als sie mein Auto in Broome/Westaustralien an einem Campingplatz stehen sah, wurde sie neugierig und so haben wir uns schlussendlich kennen gelernt. Die ganze Geschichte haben wir in unserm ersten Buch „Erfahren. Mit dem Auto durch 30 Länder – Ein Reisebericht und eine Liebesgeschichte.“ veröffentlicht.
Ich hatte das Auto von einem Saharafahrer gekauft und es war für die Wüste ausgerüstet. Zum Beispiel hatte ich 360 Liter Treibstofftanks, Seilwinde, Dachzelt und Stosstangen aus 5 mm Stahlblechprofilen. Sehr breite (305 mm) All-Terain Reifen, die den Treibstoffverbrauch unnötig in die Höhe kurbelten und ein OME-Fahrwerk, das gut für die grosse Last war. Die Treibstoffreserven habe ich nie benötigt, waren aber wegen der sehr unterschiedliche Dieselpreise äusserst praktisch. Ich konnte also beispielsweise 360l Diesel für drei (!) US-$ aus dem Iran nach Pakistan exportieren. Wegen der Seilwinde bin ich ein paar unnötige Risiken eingegangen, die ich ohne selbige vermieden hätte. Aber wenn ich sie wirklich gebraucht hätte, wäre sie wegen fehlender Bäume eh unnütz gewesen. Beim schweren Erdbeben 2005 in Pakistan konnte ich mit der Seilwinde ein paar Hausdächer von der Strasse räumen und dabei ist dann auch ein Getriebezahnrad gebrochen. Einzig ein sehr stabiler Dachträger ist empfehlenswert, da war ich immer sehr froh darum. Allerdings sind grössere Schräglagen mit hoher Dachlast alles andere als lustig. Das mit den Geländefahrten überschätzt man auch ein wenig. Ich weiss, das will man in 4×4 Kreisen nicht hören, aber für eine solche Reise bräuchte es keinen Geländewagen. Für die Suche nach einem Nachtplatz ist er ganz praktisch. Voll beladen mit der ganzen Ausrüstung für eine Weltreise geht man aber eigentlich kein unnötiges Off-Road-Risiko ein.
Ursula: Bei mir hat alles mit einem Vortrag zur Wiederansiedlung der mongolischen Urpferde in der Mongolei während meines Biologiestudiums angefangen. Da setzte sich der Floh fest, mit einem Geländewagen reisen zu gehen… tja, und wie es weiterging hat Martin ja schon angedeutet. Abgesehen von den fixen Ausbauten hatten wir von der Schweizer Armee 5 schwarze, 20l Gummisäcke für den Wasservorrat dabei. Dieser war allerdings zum Duschen und Abwaschen, da das Wasser durchs Erwärmen im Gummisack einen ekligen Beigeschmack bekam. Ausserdem führten wir die berühmte “Reise-Waschmaschine”mit: Eine grosse, mit Schraubdeckel verschliessbare Plastiktonne, die auf dem Dach festgezurrt und mit Wasser, Waschmittel und Schmutzwäsche gefüllt wird. Nach einer Tagesfahrt hat man halbwegs saubere Wäsche. Reserverad hatten wir nur eines dabei, dafür aber genügend Flickzeug für die schlauchlosen Reifen.
4x4CH: Hattet ihr den Wagen im Vorfeld zum Wohnen umgebaut? Was wurde gemacht?
Martin: Mit Ursulas Auto, gepaart mit meiner Ausrüstung, haben wir die letzte Reise unternommen. Wie immer mit Dachzelt. Der Vorteil davon ist die Kühle in heissen Regionen, der Nachteil die fehlende Privatsphäre. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass ein Zelt besser ist als eine Wohneinheit. Die Gefahr ist zu gross, dass man sich in seinem Wohnmobil einsperrt. Wenn ich heute an meine Reisen zurückdenke, war eines der bleibendsten Erinnerungen die Verbundenheit mit der Natur und den Menschen. Das ist glaube ich nur gelungen, weil wir keinen Rückzugsort mitgeführt haben. Wenn wir uns mal erholen mussten, haben wir halt ein Hotelzimmer gemietet. Gekocht, gegessen und gelesen haben wir auch immer draussen. Der Wagen war so ausgebaut, dass wir im Notfall auch drinnen schlafen konnten, was wir drei Mal wegen schlechten Wetters gemacht haben.
Ursula: Aus Erfahrungen von Afrika haben wir diesmal einen Notsitz für eine Drittperson im Toyota gelassen, da man hie und da jemanden mitnehmen möchte/muss (Schwiegermutter, Begleitdsoldat, Führer, Anhalter, …). Den Rest des Hecks bauten wir um zu Stauräumen, dessen Oberfläche als Notschlafstelle dienen konnte. Von hinten hatte man Zugang zur Küchenbox und einer langen Schublade, in der Geschirr und Kocher verstaut waren. Vorne zwischen den Sitzen baute Martin eine “Elektronik-Box” ein, in der Kamera, Musik, Handys etc. staubdicht versorgt wurden.
4x4CH: Gab es Probleme unterwegs? Wenn ja; was für welche?
Martin: “Probleme” ist milde ausgedrückt. Auf meiner ersten Reise habe ich mich nach rund drei Monaten im Iran bei einem Unfall mehrmals überschlagen. Das Auto war Schrott. Trotzdem habe ich es geschafft damit in nur fünf Wochen wieder weiter zu fahren. Die Iraner sind grandiose Automechaniker. Dennoch bin ich anschliessend sehr oft wegen technischer Probleme stehen geblieben. Das machte aber dann schlussendlich die Reise so besonders. Man braucht die Hilfe der Einheimischen und lernt sie so viel besser kennen. Ich empfehle niemanden, mit einem teuren, top ausgebauten Fahrzeug die Welt zu bereisen. Ich hätte immer Angst es zu verlieren und ausserdem funktioniert dann alles und ich lerne nicht die vielen tollen Werkstätten, Ersatzteilmärkte oder Mechanikerfamilien kennen. Am Besten war die Reise nach Afrika. Wir haben die ganze Ausrüstung auf Ursulas Auto montiert und sind mit meiner „Leiche“ nach Westafrika. Als Ausrüstung hatten wir ein Zelt von Aldi und einen Werkzeugkoffer von Jumbo dabei. Es war uns völlig egal, wenn das Auto gestohlen wird oder mit Motorschaden liegen bleibt. Ein teures Auto kann schnell zur Ballast werden.
Ursula: Ich glaube die Frage nach “welche nicht…” würde den Rahmen dieses Interviews weniger sprengen! Aber Hand aufs Herz: Wenn alles glatt läuft, was kann man dann daheim erzählen? Und im Nachhinein betrachtet waren Probleme jedwelcher Art praktisch immer Auslöser von tollen Folgeerlebnissen.
4x4CH: Was muss man als Selbstfahrer auf einer solchen Tour beachten? Die Versicherung wird wohl keine Freude daran haben, wenn man mit Einschusslöchern aus Afghanistan zurück kehrt. Was gibt es da zu wissen?
Martin: Versicherung gibt es meines Wissens keine bezahlbare, die weltweit gültig ist. Wir lösten immer vor Ort – wenn überhaupt. Das eigene Leben kann man zwar auch versichern, es nutzt aber wenig, wenn man tot ist. Die grösste Gefahr auf Reisen ist der Strassenverkehr! Unsere wichtigste Regel war, nicht in der Nacht zu fahren. Kühe stehen beispielsweise in ganz Indien unbeleuchtet herum und viele LKW-Fahrer sparen scheinbar Strom und fahren in der Nacht ohne Licht! Schon die Dämmerung kann gefährlich sein, wenn der Rauch der vielen Feuer am Strassenrand die Sicht zusätzlich vermindert. Auf aggressives Fahren sollte man gänzlich verzichten. Jedes Land hat seine eigenen Verkehrseigenheiten, die man zuerst verstehen lernen muss.
Ursula: Ich denke die Aussage “when in Rome, do it as the Romans do” trifft es recht gut. Das man nicht überall auf den hier gängigen Rechtsvortritt beharrt, ist klar, weniger hingegen, dass Rotlichter in vielen Ländern auch einfach als “Empfehlung” gelten, sich aber niemand daran hält und man sich dann in Gefahr begibt, wenn man es trotzdem tut. Wir haben auch da immer versucht Risiken möglichst gering zu halten. Zum Beispiel Einheimische, besonders nach Regenfällen etc., über Strassenzustände zu befragen, Bachdurchfahrten erst zu Fuss zu prüfen, sich evtl. auch schlau zu machen, was Einheimische im Falle eines Unfalls tun. In Indien ist das im Normalfall die Fahrerflucht, weil da der aufgebrachte Mob schnell gefährlich werden kann.
4x4CH: Dass ihr mehr oder weniger regelmässig von ziemlich starkem Fernweh geplagt werdet, zeigt, dass ihr bereits zwei lange Reisen unternommen habt. Hattet ihr unterwegs denn auch mal so etwas wie Heimweh? In Indien zum Beispiel?
Martin: Ich würde es nicht als Heimweh bezeichnen, aber es gab Tage, da hatte ich einfach genug. Bei mir kommt so nach etwas über einem Jahr die Reisesättigung und dann muss ich unbedingt für mehrere Monate an einem Ort bleiben. Oft hat mir Kulinarisches von zu Hause gefehlt: Brot, Essig, Käse oder ähnliches fehlten mir nach sechs Monaten in Indien.
Ursula: Bei mir war Heimweh eigentlich immer gekoppelt mit Kranksein. Fiebrig in einem versiften Hotelzimmer zu liegen, oder neben einer drei-Tage-24h-Beerdigungszeremonie mit Discolautstärke sich die Seele aus dem Leib zu würgen… da wollte ich nur noch heim.
4x4CH: 15 Monate unterwegs. Das braucht ja auch ein Reisebudget – abgesehen von den laufenden Kosten die man Zuhause ja auch noch hat. Wie finanziert man ein solches Projekt?
Martin: Das ist eine einfache Rechnung. Zuerst einmal darf es keine laufenden Kosten zu Hause geben. Welche auch, wenn man die Wohnung gekündigt und die Sachen verkauft hat? Das wenige, von dem man sich (noch) nicht trennen kann, findet leicht Platz bei Freunden oder Familie. Die Reisekosten bestimmt dann das Land. In Indien kann man gut für 400 bis 600 Franken pro Monat zu zweit reisen. Ich habe ein wenig Buchhaltung geführt und für die letzte Reise Kosten von Fr. 1’800.- pro Monat errechnet. Darin ist alles enthalten: vom Autokauf (hier zählt die Differenz zwischen dem Kauf und dem Verkauf), dem Ausbau, Krankenversicherung, Dieselkosten, Essen, Visa, etc.; insgesamt waren es Fr. 27’000.- für uns beide in 15 Monaten, das lässt sich relativ einfach zusammensparen, wenn man will.
Ursula: Die Reisekosten sind stark abhängig vom Reiseland und den eigenen (Luxus-)Bedürfnissen. Generell gilt, Nordamerika, Australien, Neuseeland und Ost- bzw. Südafrika sind eher teurer, Hotelübernachtungen schlagen auch mehr zu Buche als das Übernachten im Fahrzeug und Nationalparkeintritte können ganz schön teuer sein. Beim Kochen kommt es aufs Land an, in manchen Ländern ist das Essen im Restaurant sogar günstiger als selber zu kochen.
4x4CH: Ein grosses Thema ist sicher auch das Heimkommen. Wie habt ihr euch hier wieder zurecht gefunden? Wie ist es, wenn man über ein Jahr frei seine Tage gestaltet hat und nun zurück in den Strukturen unserer Kultur ist? Habt ihr ein Rezept für Heimkehrer?
Martin: Wir hatten bei unseren Reisen nie einen zeitlichen Endpunkt gesetzt. Das würde ich auch niemanden empfehlen. Wenn man weiss, in einem Jahr wieder zu Hause sein zu müssen, um im gleichen Job weiter zu machen, dann ist das für mich keine Freiheit und schon wieder Stress. Bei mir ist das Ende immer durch eine Sättigung gekommen. Ich hatte genug von Reisen und mich entsprechend auf die nächste Etappe in meinem Leben gefreut. Die Umstellung, wieder zu Hause zu sein, war sicher nicht einfach, aber die Freude auf Altbekanntes stand im Vordergrund.
Ursula: Mich erstaunte, wie schnell ich wieder eine Agenda brauchte. Hier geht wieder alles nach Plan, die wenigsten haben spontan Zeit etwas zu unternehmen, ich inzwischen auch kaum mehr, leider. In meinen Augen gibt es einen grossen Unterschied, ob man per Flieger oder Stück für Stück über den Landweg heimkommt. Von Afrika kamen wir aus Mauretanien mit dem Flugzeug nach Zürich. Der Kulturschock war gewaltig und langanhaltend. 8 Monate Wüste, optische Reizarmut, Einfachheit, Wassermangel, gelb/braun/graue Landschaften. Innert Stunden zurück in einer bunten, konsumüberladenen, verschwenderischen und hektischen Welt überforderte mich völlig. Aus Asien heimkehrend vollzog sich die Annäherung an das Bekannte schleichend. Die fremden Kulturen wurden der eigenen stetig ähnlicher.
4x4CH: Und wo habt ihr zurück daheim gewohnt, wenn ihr vor der Abreise alles aufgegeben hattet? Habt ihr den Landcruiser auf den Campingplatz gestellt oder seid ihr bei Freunden untergekommen? Oder gar zurück ins Kinderzimmer daheim?
Martin: Wir haben die Übergangszeit tatsächlich im ehemaligen Kinderzimmer meiner Frau verbracht. Wäre das nicht möglich gewesen, so gibt es auch in der Schweiz Hotels, Campingplätze und leerstehende Wohnungen, die ganz schnell gemietet werden können. Es muss ja nicht gleich Downtown Zürich sein. In jedem Fall sind alle diese Varianten weniger teuer als eine leerstehende Wohnung weiter zu bezahlen, wenn man gar nicht weiss, wann und ob man wieder zurück kommt.
Ursula: Da meine Eltern ein Einfamilienhaus besassen, konnten wir den Toyota dort “zwischenlagern”. Das knappe halbe Jahr, das wir bei meinen Eltern verbringen durften, war auch eine sehr schöne Gelegenheit, ihnen noch einmal etwas nah zu sein im Erwachsenenalter. Das war für beide Seiten eine win-win-Situation, wenngleich die eigene Wohnung dann auch wieder toll war!
4x4CH: Ihr habt mit „Verfahren“ bereits das zweite Buch veröffentlicht. Ich kann mir vorstellen das es nicht ganz leicht ist, einen Verlag zu finden. Wie seid ihr das angegangen?
Martin: Es ist sehr frustrierend einen Verlag zu suchen und eigentlich war das bei uns reiner Zufall. Baeschlin ist ein Glarner Verlagshaus, welches sich auf lokale Literatur spezialisiert hat. Wir haben zu dieser Zeit im Glarnerland gewohnt und dabei den Verleger kennen gelernt. Er hatte selber einmal ein Jahr in Indien gelebt und war gleich begeistert. Leider ist der Verlag nicht in der Lage Marketing zu betreiben. So sind unsere Bücher auch nicht im ganzen Land bekannt.
4x4CH: Zum Schluss: Wie hat das Reisen euer Leben verändert?
Martin: Komplett! Im letzten Buch habe ich dazu einen anderen Autor zitiert, Klaus Brinkbäumer: „… Reisen gibt es, die den Reisenden verändern und zu einem anderen Menschen machen. Vielleicht wäre er hinterher, nach seiner Reise, gerne wieder wie vorher, aber es geht nicht. Jener Zustand ist verloren, und der Mensch, der er war, existiert nicht mehr, weil seine Welt durch seine Reise eine andere geworden ist. Das kann der Reiz des Reisens sein, und es ist das Risiko des Reisenden…“
Ursula: Ich sehe die Welt viel vernetzter und bin für vieles in meinem Leben so viel dankbarer geworden. Diese Auszeiten haben mir mehr Einblicke, Einsichten und Erfahrungen beschert, als vielen Menschen in ihrem ganzen Leben gewährt werden. Ich sehe dies als ein unglaubliches Privileg, das ich dazu nutzen möchte, von der Gastfreundschaft, der Offenheit und Hilfsbereitschaft in den bereisten Ländern zu berichten – auf dass die Welt eine bessere und gerechtere werde!
4x4CH: Ich kann mir vorstellen, dass es euch schon wieder in den Fingern juckt von neuem Aufzubrechen. Gibt es schon Ideen – oder sogar Pläne wohin es gehen soll? Und wie?
Martin: Wir haben zurzeit andere Erlebnisse. Mit unseren drei Kindern. Ausserdem haben wir ein Haus gekauft und zu fünf Wohneinheiten umgebaut. Die Mieter kommen aus sehr verschiedenen Ländern. Wir holen uns sozusagen die Welt nach Hause. Ich weiss nicht, ob ich nochmals so eine lange Reise machen möchte. Die insgesamt fast fünf Jahre des Reisen waren wunderschön und sind ein zentraler Bestandteil meines Lebens. Aber ich möchte mich auch anderweitig weiterentwickeln und nachdem ich gereist bin, verspüre ich nicht mehr den unbändigen Drang danach. Ich habe viele getroffen, deren Lebensinhalt es geworden ist, alle Länder der Welt abzuhaken. Das ist nicht mein Ziel.
Ursula: Eigentlich war es mal der Plan, mit 4-5 Kindern wieder aufzubrechen. Aber wie so oft im Leben kommt es anders. Unser Erstgeborener ist schwer behindert und reisen, wie wir das praktiziert haben, ist mit ihm undenkbar. So wie wir auf Reisen nie wussten, was uns hinter der nächsten Kurve erwartet, hat uns das Kinderbekommen ebenfalls auf eine völlig neue Schiene des Lebens gebracht, anders als gedacht, aber auch gut. Und – wir durften ja schon erleben, wovon andere ihr Leben lang nur träumen…
4x4CH: Was macht ihr heute im Alltag? Was ist euer Beruf? Seid ihr zurück im alten Beruf? Im alten Betrieb? Oder hat sich auch in dem Bereich etwas verändert?
Martin: Ich habe mir nach einem zweiten Anlauf in der Industrie vorgenommen, maximal mit einem 60%-Pensum zu arbeiten. Das war leider in meinem angestammten Beruf als Kunststoffingenieur schwer möglich. Jetzt bin ich Physiklehrer für die technische Berufsmatura. Die restliche Zeit liege ich nicht auf der faulen Haut, sondern fülle sie mit für mich Sinnvollem: Familie, Haus, Sozialkontakte, Schreiben, Sport etc. Für mich ist es nicht mehr wichtig, wichtig zu sein. Ich definiere mich nicht mehr über meinen Beruf, sondern auch über alles drum herum. Wenn mir mein Beruf keinen Spass mehr machen sollte, dann werde ich nochmals umsatteln. Lieber Freude an der Arbeit und viel Freizeit, als mehr Einkommen und mehr, meist unsinnigen, Konsum.
Ursula: Ich bin ausgebildete Primarlehrerin und Zoologin. Gleich im Anschluss an unsere letzte Reise bekam ich durch eine ehemalige Lehrerin eine Anstellung an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, wo ich seither im Bereich Mensch und Umwelt zukünftige Lehrpersonen ausbilden darf. Das macht mir sehr viel Freude. Ich bin überzeugt, dass ich, dank den langen Reisen, meinen jungen Studierenden mehr mitgeben kann als reines Lehrbuchwissen. Seit drei Jahren bin ich stark im Bereich Bildung und nachhaltige Entwicklung tätig. Auch das wurde sicher durch die Einsichten und Erfahrungen in den bereisten Entwicklungsländern gefördert.
Die Garage heute?
In der Garage von Martin und Ursula steht heute ein Renault Kangoo. Vor den Kindern gar ein kleiner Citroen C1. Der Toyota wurde gleich nach der letzten Reise an zwei junge Männer verkauft, die damit die damit via China nach Südostasien und zurück über die Mongolei und Sibirien gereist sind. Jetzt steht er mit gebrochener A-Säule irgendwo in einer Scheune, fährt aber immer noch einwandfrei. Die beiden jungen Männer sind inzwischen zu Freunden geworden. Während der eine Familie gegründet hat und sesshaft geworden ist, hat sich der andere vor Kurzem einen rostfreien, baugleichen HJ60 zugelegt und campiert derzeit damit am Zürichsee auf einen Campingplatz. So ist er immer unter freiem Himmel und spart auch noch schneller Geld für die nächste Reise. Anscheinend geht der Reise-Virus vom guten, alten Toyota Landcruiser aus. Egal ob HJ oder HZJ. Also Vorsicht wenn Sie einen Landcruiser kaufen; das kann ihr Leben verändern!
Fragen an Martin und Ursula?
Haben Sie Fragen an Martin und Ursula? Brauchen Sie Tipps, wie Sie ihr Reiseprojekt realisieren können? Schreiben Sie uns und wir veröffentlichen nicht nur die Frage, sondern auch die Experten-Antwort von Martin und Ursula.
Bilder: M. Novotny und U. Wunder
Das Interview führte Nils Deparade.
Beide Bücher kann man hier im Set zum Aktionspreis von CHF 49.90 (portofrei) kaufen – oder einzeln: Verfahren Fr 39.90, Erfahren Fr 19.90. Die Bücher werden von den Martin und Ursula auf Wunsch gerne signiert: www.v-erfahren.ch